#bringthemhomenow

Schon kurz nach dem Angriff der Hamas auf Israel mit über 1.200 Ermordeten bildete sich – angestoßen von den Angehörigen der nach Gaza entführten Geiseln – in Israel die Initiative #bringthemhomenow, deren Spirit auch in vielen anderen Ländern unterstützt und in die Öffentlichkeit getragen wird. In Wien wird dieses Anliegen von einem losen Netzwerk engagierter Personen vertreten. WINA sprach mit der Social-Media-Verantwortlichen von Bringhemhomenow.Vienna.

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Auch im Herzen Wiens ist die Aktion angekommen. Hier: vor dem Stephansdom und auf dem Graben. © BringThemHomeNow.Vienna

Anders als in anderen Ländern mit großen jüdischen Communities steht hinter Bringthemhomenow.Vienna nur eine kleine Anzahl von Menschen – 90 Prozent von ihnen sind Frauen. Jedes Event wird von einer anderen Person oder Personengruppe organisiert. Die Bilder und kurzen Videos werden dann allerdings konstant von einer Aktivistin auf den Social-Media-Kanälen verbreitet. Dabei hat man sich dafür entschieden, sowohl auf Facebook wie auch auf Instagram präsent zu sein. Wesentlich mehr Follower und vor allem mehr Response und Interaktion gebe es auf Instagram, erzählt die Social-Media-Verantwortliche. Warum sie hier anonym bleiben möchte, ist auch den Erfahrungen dieser mittlerweile mehr als sieben Monate anhaltenden Online-Präsenz geschuldet. „Ich muss jeden Tag Kommentare unter unseren Postings löschen. Mein Vertrauen in die Welt hat sich geändert.“

Was ist auf den Social-Media-Kanälen von Bringthemhome. Vienna zu sehen und lesen? Einerseits wird eben über Aktionen im öffentlichen Raum berichtet. Derer gab es schon eine ganze Menge: von einem Geburtstagstisch für das Baby Kvir im Prater bis zu einem Schabbestisch für alle Entführten auf dem Judenplatz, von einem Kinderwagen-Flashmob noch vor der Freilassung eines Teils der Geiseln, darunter viele Kinder und Jugendliche, im Spätherbst auf dem Stephansplatz und einem weiteren Flashmob mit Buggys und Rollern vor der Votivkirche bis zu Aktionen auf dem Wiener Graben und vor der UNOCity, um rund um den Internationalen Frauentag am 8. März auf die massive sexualisierte Gewalt fünf Monate zuvor in den Kibuzzim und auf dem Gelände des Nova-Festivals aufmerksam zu machen. Vor der Staatsoper wurde Bewusstsein dafür geschaffen, dass die Geiseln bereits 100 Tage in Gefangenschaft der Hamas in Gaza waren.

© BringThemHomeNow.Vienna

Im Frühjahr präsentierte die Initiative eine Ausstellung im öffentlichen Raum: In Fenstern des IKG-Gebäudes Ecke Rabensteig/Seitenstettengasse wurden straßenseitig Fotoarbeiten der Künstlerin Sharon Derhy gezeigt. Sie ist die Schwiegertochter des entführten Chaim Peri aus dem Kibbuz Nir Oz und entwickelte das Projekt Captured, bei dem sie über Fotoinstallationen zeigt, welche Lücken die Entführten im Leben ihrer Angehörigen hinterließen. Die Arbeiten visualisieren, wie hier Familien auseinandergerissen wurden, sie zeigen den Schmerz, und sie versinnbildlichen genau das, wofür die weltweite Initiative #bringthemhomenow steht: die Geiseln zu befreien. Bis zum Redaktionsschluss für diesen Bericht Ende Juni war das Schicksal von mehr als 100 Personen noch unbekannt und das Hoffen auf noch lebende Geiseln bange, aber ungebrochen da.

„Meine Albträume haben aber aufgehört,
als ich begonnen habe, mich hier
zu engagieren.
Es
macht es für mich leichter, mit der

Situation umzugehen.“
Social-MediaVerantwortliche

Bringthemhomenow.Vienna macht aber auch unabhängig von solchen Events immer wieder durch das Posten von Fotos der Entführten, durch das Teilen von Social-MediaBeiträgen von Angehörigen, aber auch durch das Sharen von Medienberichten über die Geiseln auf deren Schicksal aufmerksam. „Unsere Postings thematisieren nicht den Nahostkonflikt, nicht Israels Premier Benjamin Netanjahu, nicht den aktuellen Krieg. Unsere ganze Aufmerksamkeit richten wir auf die Geiseln. Insofern verstören dann manche Kommentare schon ziemlich.“

Was ist da dann etwa zu lesen? Und wo greift die Social-Media-Veranwortliche ein, was lässt sie stehen? „Das reicht von, ‚das haben sie sich selbst eingehandelt mit dem, was Israel gemacht hat‘ über ‚wenn es euch nicht gäbe, würden so und so viele Palästinenser noch leben‘ bis zu arg antisemitischen Statements wie ‚too bad the Austrian painter did not finish the job‘.“ Aussagen wie jene über Adolf Hitler lösche sie dann, erzählt die Aktivistin, „Schweineköpfe lösche ich, Kackhaufen lösche ich, aber auch Gewalt, die über Videos kommuniziert wird. Es gibt Personen, die posten zum Beispiel Flammenwerfer.“ Grundsätzlich bemühe sie sich aber, keine Zensur auszuüben und Positives zu verstärken. Den Slogan „Free Palestine“ lasse sie zum Beispiel stehen, frage dann aber nach: „Free from what?“ Sie sehe sich auch die Profile der Postenden an, schaue, ob es sich um Bots oder tatsächliche Personen handle, und spreche Letztere dann mit Namen an, danke für den Kommentar und schreibe: „I’d like to add …“

Auf positive Verstärkung setze sie auch, wenn sie auf Social Media auf konstruktive Medienberichte zum Thema Geiseln stoße. Dann bedanke sie sich auf deren Facebookoder Instagram-Seiten für den Bericht. „Ich merke auch, dass ich dann so dankbar bin, wenn ich etwas Vernünftiges dazu lese.“ Was sie nicht tue, ist, zu versuchen, all das, was ihr an Kommentaren mit Hass- und Fake-Inhalten in sozialen Medien unterkomme, zu korrigieren. „Das kann und will ich nicht leisten. Mir ist achtsame Kommunikation wichtig. Ich hätte dazu aber auch gar keine Zeit, ich habe ja ein Berufsleben.“ Bis zu zwei Stunden verbringe sie dennoch täglich mit den Social-Media-Aktivitäten für Bringthemhomenow.Vienna.

Auch die Wiener Staatsoper kooperierte mit der Initiative. © BringThemHomeNow.Vienna

Spannend sei dabei zu verfolgen, wie vor allem auf Instagram (dort unter: vienna.bringthemhomenow) ein Reel einer Aktion nicht nur zehntausende Menschen erreiche, sondern in Wellen immer wieder im Feed auftauche und quasi von Land zu Land gereicht werde und dann immer neue Reaktionen auslöse – mühsame, siehe oben, aber auch positive. Die bisher niederschmetterndsten Kommentare habe es übrigens unter einem Beitrag über eine Veranstaltung am Judenplatz gegeben, wo aus vielen Kerzen ein sehr großer Davidstern geformt wurde. Nach Beratung mit anderen Mitgliedern der Initiative habe sie hier dann die Kommentarfunktion deaktiviert. Es sei allerdings grundsätzlich irritierend zu sehen, „wie sehr das Symbol des Davidsternes viele Menschen dazu bewegt, hasserfüllten Antisemitismus zu verbalisieren“.

Insgesamt erfülle die Initiative drei Funktionen, erzählt die Social-Media-Verantwortliche: auf das Schicksal der Geiseln aufmerksam zu machen, Anknüpfungspunkte für jene Menschen in Wien zu schaffen, die sich hier einbringen wollen, und wenn es nur das Teilen eines Postings auf ihrer eigenen Wall sei, und schließlich den Familien der Entführten zu zeigen, dass sie nicht allein sind. „Wenn ich etwas zu einer Geisel poste, dann wird das auch immer gleich von der Seite von deren Familie geteilt, und ich merke, das ist für die Familien irrsinnig wichtig, dass sie merken, woanders gibt es auch noch Leute, die mitleiden, mithoffen und mithelfen. Da geht es um sichtbare und spürbare Solidarität.“

Und warum engagiert sie sich persönlich? „Es ist nicht ganz selbstlos. Ich muss zugeben, im Oktober hatte ich Albträume. Die ganze Situation ist so schrecklich und macht einen so hilflos. Meine Albträume haben aber aufgehört, als ich begonnen habe, mich hier zu engagieren. Es macht es für mich leichter, mit der Situation umzugehen, weil ich das Gefühl habe, ich tue etwas. Es ist meine Art, das alles auszuhalten.“

Stichwort aushalten: „Mein Lebensgefühl als jüdischer Mensch hat sich schon stark geändert“, sagt die Aktivistin, die in ihrem Alltag an einer Wiener Universität forscht und lehrt. „Ich hatte streckenweise auch das Gefühl, ich lebe dissoziiert in zwei Parallelwelten.“ In der analogen Welt vermeide sie übrigens Gespräche zum aktuellen Krieg zwischen Hamas und Israel. „In der analogen Welt stelle ich mich nicht als Mistkübel für die ganzen Menschen, die irgendeine Meinung haben, zur Verfügung.“ Was sie beobachte: Die irrsinnige Polarisierung aus der digitalen Welt sei in die analoge übertragen worden. Sich dem auszusetzen, tue nicht gut.

„[…] wie sehr das Symbol des
Davidsterns viele Menschen dazu bewegt,
hasserfüllten Antisemitismus zu verbalisieren.“
Social-MediaVerantwortliche

InstagramPosts und deren Reaktionen: eine tägliche Herausforderung an die MedienExpertin.

Wo sie allerdings versuche, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, sei im Rahmen der Aktionen von bringthemhomenow.Vienna. Darauf bereiten sie und ihre Mitstreiterinnen sich dann aber auch entsprechend vor. Zuletzt verteilten sie zum Beispiel am Rabensteig und in der Seitenstettengasse Flyer zur Ausstellung von Arbeiten Sharon Derhys. „Auch da muss man allerdings sehr viel Geduld und eine dicke Haut haben.“ Man stoße dabei auf indifferente, aber auch aggressive Menschen. „Ein Mann hat meine Kollegin zum Beispiel gefragt, ob die Menschen auf den Fotos Juden seien – und dann hat er ihr den Flyer zurückgeworfen.“ Andere wiederum seien sehr empathisch und differenziert, und so ergäben sich auch gute und positive Gespräche. „Schön sind für mich die Begegnungen mit israelischen und jüdischen Touristen. Das wird dann sehr herzlich, weil sie merken, dass in allen Teilen der Welt an die Geiseln gedacht wird. Und genau darum geht es uns ja.“

Worauf sich die Vertreterin von bringthemhomenow.Vienna freut? Wenn sie keine Sticker mehr nachdrucken lassen muss, mit denen sie derzeit auf den Straßen Wiens jedes BDS- und „Genozid“-Pickerl, das ihr unterkommt, überklebt, und die Sticker, die noch da sind, „endlich kübeln kann“. Wenn sie sich nicht täglich durch Kommentare lesen und den einen oder anderen löschen und manchen Follower blockieren muss. Das wird dann nämlich bedeuten, dass alle Geiseln befreit werden konnten und wieder mit ihren Familien vereint – oder beerdigt – sind. Nie hätte sie sich im Oktober vorstellen können, dass dies im Sommer darauf immer noch nicht der Fall sein könnte.

Der 7. Oktober 2023 sei eine Zäsur. Und es sei kaum vorstellbar, zu dem Zustand vor dem 7. Oktober zurückzukehren. „Es hat sich auch das Leben in der Diaspora verändert. Und es sind viele Klärungen passiert – positive und solidarische wie jüngst der tolle Text von Herta Müller oder die Aktion eines kurdisch-syrischen Restaurants in Freiburg, das das israelische Gericht Baba Ganoush auf die Speisekarte setzte und seitdem zigmal die Polizei rufen musste. Aber eben auch die anderen. Mit manchen Abgründen wäre man lieber nicht konfrontiert worden.“


Spenden für betroffene Familien in Israel

Das israelische Forum der Familien von Entführten und Vermissten benötigt Unterstützung, denn die seit Oktober 2023 währende Arbeit wird ehrenamtlich geleistet. Aus vielen Familien wurde der Alleinverdiener entführt, und die Eltern beziehungsweise Partnerinnen mit Kindern stehen allein da. Die Hamas-Terroristen haben zudem auch das Haus vieler Familien zerstört. Spenden kann man direkt über die Website stories.bringthemhomenow.net!

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