Die IKG Wien gedachte am Abend des 7. Oktober gemeinsam mit Vertretern und Vertreterinnen der Politik, vor allem aber Angehörigen von Geiseln, die sich noch immer im Gazastreifen befinden, auf dem Ballhausplatz des Überfalls der Hamas auf Israel vor einem Jahr mit mehr als 1.200 Ermordeten und hunderten Entführten. Das Schicksal von rund 100 von ihnen ist immer noch unklar. Ein Abend zwischen Gedenken und Hoffen – und dem dringlichen Appell: #bringthemhome! (Fotos: IKG Wien / Christine Schmidl)

Vor Beginn der Veranstaltung wurden kleine Israel- und Österreich-Fähnchen ausgeteilt, nach Ende des Festakts dann aber die Bitte von Sonja Kato, die gemeinsam mit Daniel Landau durch den Abend führte: diese bitte auf dem Heimweg wegzustecken, in Richtung Stephansplatz gebe es eine propalästinensische Demonstration. Die beiden Veranstaltungen hätten unterschiedlicher nicht sein können: Gebete von Oberrabbiner Jaron Engelmayer und Oberkantor Shmuel Barzilai, das Verlesen der Namen der Geiseln, die immer noch in Gaza festgehalten werden, durch Jugendliche der verschiedenen jüdischen Jugendorganisationen, Gesang des Wiener Jüdischen Chors unter der Leitung von Roman Grinberg sowie von der Opernsängerin Hila Fahima und bewegende Gedichte der Enkelin von Leon Zelman, Elli Shklarek, co-vorgetragen von Shklarek selbst sowie dem Schauspieler Cornelius Obonya auf dem Ballhausplatz – aggressive „Down with Israel“ und „Israel is not a State“-Rufe dann quasi zwei Mal um die Ecke am Graben.

IKG-Präsident Oskar Deutsch erzählte von zwei Familien, die eine, Tamar und Jonathan sowie ihre zwei Kinder, die sich in ihrem Kibbuz vor Raketen in den Schutzraum retteten – sie retteten sich vermeintlich, denn dort wurden sie dann von den Mördern der Hamas dahingemetzelt. Die Entführung einer anderen Familie, darunter ein Baby, sei gefilmt und dieses Propaganda-Video der Hamas schließlich exklusiv auf Al Jazeera ausgestrahlt worden. „Der Horror des 7. Oktober sitzt uns immer noch in den Knochen“, so Deutsch. Was dann passiert sei, entspreche dem üblichen Modus operandi: dem Staat Israel würden Verbrechen angedichtet, das löse dann Gewalt aus – und gegenüber Juden und Jüdinnen, in der Region, aber auch weltweit. In Österreich habe sich die Zahl der antisemitischen Vorfälle in diesem Jahr verfünffacht.

Deutsch dankte den Spitzen der österreichischen Politik, aber auch den Sicherheitsbehörden, die jüdisches Leben hier zu Lande möglich machen. Eine der Lehren aus der Schoa sei das „Nie wieder“ – und Israel sei das Staat gewordene „Nie wieder“. Wie auch die Politiker, die nach ihm sprachen – Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), Minister Werner Kogler (Grüne), der Wiener Stadtrat Peter Hacker (SPÖ), die Nationalratsabgeordnete Stephanie Krisper (NEOS) – sowie der israelische Botschafter, David Roet, schloss Deutsch mit dem Aufruf: #bringthemhome.

Der 7. Oktober 2023 markiere einen Tiefpunkt in der Geschichte des jüdischen Volks, betonte Edtstadler. Für diese kaltblütigen Verbrechen dürfe es keine Rechtfertigung, keine Erklärung, keinen Begriff geben. Und es seien die Hamas und ihre Verbündeten, die die Verantwortung für die vor einem Jahr mit diesem Massaker angedachte Spirale der Gewalt tragen. Die Hamas habe das bewusst in Kauf genommen. Israel werden nun aus allen Richtungen mit Raketen angegriffen. Israelis drohe auf der Straße täglich die Gefahr eines Terroranschlags. Edtstadler unterstrich: „Das Selbstverteidigungsrecht Israels steht außer Zweifel.“ Sie versprach, dass Österreich immer an der Seite Israels stehe, aber auch, dass man für den Schutz der jüdischen Gemeinden sorge.

Kogler sprach von dem schlimmsten Pogrom an Juden und Jüdinnen seit der Schoa, das zudem ein Angriff auf das Existenzrecht Israels gewesen sei. Der 7. Oktober 2023 stelle eine Zäsur da. Die Schergen der Hamas hätten möglichst viele Menschen töten wollen. Sie hätten aber auch das Ziel gehabt, „Juden und Jüdinnen in der ganzen Welt in Angst und Schrecken zu versetzen“. Seit dem 8. Oktober 2023 beschieße die Hisbollah das Land mit Raketen. Leidtragende seien aber nicht nur Israelis. „Hamas und Hisbollah halten mit ihren dunklen Machtphantasien ihre eigene Bevölkerung als Geiseln.“ Und es gehe auch gegen freie Gesellschaften. „Sie wollen spalten und Hass säen.“ Österreich trage jedenfalls eine historische Verantwortung gegenüber dem Staat Israel.

Botschafter Roet dankte der Regierung, die noch am 7. Oktober 2023 die israelische Fahne am Bundeskanzleramt gehisst hatte. Ein Jahr später ortete er immer noch „dunkle, dunkle Stunden“, die Geiseln müssten endlich frei kommen. Hacker betonte, er sehe dieses Gedenken am Ballhausplatz als klares, unmissverständliches Zeichen des Miteinander und der Solidarität – „auch mit unserer Kultusgemeinde“. Wien trete gegen jeden Antisemitismus, Rassismus und gegen Diskriminierung auf und ein, die Stadt stehe für Respekt vor dem anderen und dafür, Konflikte mittels Dialog zu lösen. Er würde sich wünschen, dass der eine Gott, zudem Menschen weltweit beten, ein Gott der Liebe, des Miteinander, der Heilung und Vergebung sei „und als solcher verehrt wird“. Wien stehe jedenfalls für ein „friedvolles Zusammenleben“. Krisper unterstrich, mit dem Überfall der Hamas sei vor allem das Sicherheitsgefühl viele Israelis erschüttert worden, aber auch das Sicherheitsgefühl von Juden und Jüdinnen weltweit. Sie wünsche sich, dass Juden und Jüdinnen diese Sicherheit wieder spüren.

Für die emotionalsten Momente des Abends sorgten aber Angehörige von Geiseln, die sich immer noch in Gaza befinden. Da flehte der Neffe von Ohad Ben Ami die Politik an, keinen Euro mehr in den Gazastreifen zu überweisen, bis nicht alle Geiseln frei gelassen seien. Er sehe darin die einzige noch mögliche Lösung, die rund 100 Geiseln zu befreien.

Die Tante von Bar Kuperstein schilderte ihre Verzweiflung, „ich habe schreckliche Angst um Bar“. Das letzte, was sie von ihm gesehen habe, sei ein grausames Video in Gaza, wo ihr Neffe komplett gefesselt am Boden liege. Sie sei erschöpft nach diesem Jahr, „aber egal, wie erschöpft man ist, man kämpft weiter“. Und: Bar habe am 7. Oktober so vielen Menschen geholfen, „jetzt braucht Bar die Hilfe der Welt“.

Per Videobotschaft erzählte der neunjährige Naveh, Sohn der österreichischen Geisel Tal Shoham, vom Tag der Entführung. Er und seine kleine Schwester konnten gemeinsam mit der Mutter inzwischen aus der Geiselhaft in Gaza zurückkehren – doch der Vater wird weiter vermisst. Wenn man diesem Neunjährigen zuhört, wird rasch klar, das sind keine Gedanken, mit denen man sich in diesem Alter auseinandersetzen sollte. Es waren die Worte dieses kleinen Buben, die bei so manchem Teilnehmer dieses Gedenkens für Tränen sorgte – auch Moderatorin Kato kippte die Stimme. Es sind diese Momente, die zeigen: auch wenn der 7. Oktober inzwischen ein Jahr her ist – er ist immer noch nicht vorüber. Das wird er erst sein, wenn alle Geiseln befreit werden konnten oder die Familien zumindest Gewissheit haben, dass ihre Lieben nicht mehr am Leben sind.

(wird laufend aktualisiert)

https://stories.bringthemhomenow.net/

1 KOMMENTAR

  1. Vielen Dank für den eindrucksvollen Bericht. Ich habe als Prof. (Politologie) in Deutschland viel mit Studierenden über die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung beschäftigt, wir haben u.a. die Synagoge in Lübeck und das ehemalige KZ an der dänischen Grenze besucht, regelmäßig antifaschistische Busfahrten unternommen. Ein KZ-Überlebender hat in meinen Lehrveranstaltungen mit Studierenden diskutiert.
    Leider kann ich an Demos usf. nicht mehr teilnehmen, bin 87.

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