„Hören und Verstehen“

Als Gastkuratorin präsentierte die israelische Künstlerin Maayan Sheleff auf Einladung der Sommerakademie in Salzburg eine vielbeachtete Ausstellung zu den Visionen eines besseren Zusammenlebens – auch im Mittleren Osten.

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Maayan Sheleff ist eine in Tel Aviv lebende freie Kuratorin. © Reinhard Engel

Nur weil ich seit über zwanzig Jahren mit diesen israelischpalästinensischen Künstlerinnen und Künstlern im Dialog stehe, konnte das Vertrauen auch nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 weiterbestehen und zu diesem Projekt führen. Denn als Künstler, die auch politische Themen aufgreifen und im ständigen Konfliktzustand leben, war und bleibt das eine fortdauernde Herausforderung“, erzählt Maayan Sheleff, Gastkuratorin des heurigen Veranstaltungsprogramms der Internationalen Sommerakademie für bildende Kunst in Salzburg.

Mit School of Listening (Schule des Hörens) bezieht sich der Titel auf die Schule des Sehens, wie ihr Gründer Oskar Kokoschka 1953 diese akademischen Sommerseminare benannte.

Die Einladung nach Salzburg erhielt die in Tel Aviv geborene und dort lebende Maayan Sheleff von der 2024 vorzeitig verabschiedeten Direktorin der Sommerakademie, Sophie Goltz. „Sophie hat mich kontaktiert, und wir haben über die zwiespältigen und heftigen öffentlichen Debatten nach den Ereignissen vom 7. Oktober und dessen Folgen gesprochen“, so Sheleff. „Daraufhin suchten wir proaktiv den Dialog, und so entstand gemeinsam mit Christina Penetsdorfer die Ausstellung School of Listening: (Im)possible Conversations im Rupertinum, dem Standort Altstadt des Museums der Moderne (MdM) Salzburg. Zusätzlich präsentieren einige Kreative der Sommerakademie eine Auswahl ihrer Werke und beziehen dabei Arbeiten aus der Sammlung Generali Foundation – Dauerleihgabe am MdM Salzburg – mit ein.

Maayan und ihr sechsjähriger Sohn Kol (deutsch: Stimme) begleiten uns durch die Ausstellung, und da wird auch klar, wieso die Kuratorin, die an der University of Reading (England) studierte und jüngst an der Zürcher Hochschule der Künste ihr Doktorat gemacht hat, ihrem Kind diesen ungewöhnlichen Namen gegeben hat: Sie vertraut auf die Kraft der Stimmen, des Hörens und der Bedeutung von Zwischentönen, sowohl im politischen wie im zwischenmenschlichen Bereich. Die Auswahl der Künstlerinnen und eines Künstlers, die Sheleff eingeladen hat, beweist ihren Anspruch auf hohes Niveau, und trotz aller Ernsthaftigkeit der Themen gibt es immer wieder humorvolle Einschübe.

„Wenn man zuhören will, kann man
andere verstehen, auch wenn man ihre Sprache nicht spricht.“
Maayan Sheleff

Das Video der Künstlerin und Forscherin Ofri Cnaani, die erst im Studienjahr 2022–2023 eine Gastprofessur an der TU Wien hatte, trägt den Titel Ground Control: When the Horizon Becomes a Frontier. Dabei geht es um den israelischen Astronauten Eytan Stibbe, der im April 2022 acht Tage in der Internationalen Raumstation verbrachte. Während dieser Zeit kommunizierte die Künstlerin jeden Tag mit ihm, sie schickte dem Astronauten jeden Morgen drei Sätze, er beantwortete jeden Satz mit einem Foto. Diese Fotos zeigten unsichtbare Orte, die die allermeisten Menschen nie besuchen werden. „Denn war der Weltraum einst der Horizont, so wird er gegenwärtig zu einer neuen technologischen und wirtschaftlichen Grenze“, so Ofri Cnaani.

„Als Gänsehautmomente, mitreißende Musik und Verstehen abseits der Sprache“ urteilte die Kritik über die Eröffnungsperformance von zwei Künstlerinnen und dem israelische Musiker, Performer und Regisseur Neta Weiner. „Wenn man zuhören will, kann man andere verstehen, auch wenn man ihre Sprache nicht spricht“, ist Weiner überzeugt. Wie das funktionieren kann, zeigten er, die israelische Choreografin und Tänzerin Stav Marin und die palästinensisch-israelische Schauspielerin Samira Saraya: Mit Akkordeon, Stimm- und Körpereinsatz, auf Hebräisch, Jiddisch, Arabisch, Englisch und teils gemeinsam mit dem Publikum im öffentlichen Raum wurde gesungen, erzählt, getanzt. Individuelle Geschichten – etwa ein Liebeslied mit gebrochenen Herzen an die Stadt Jaffa – wurden zum Sinnbild dafür, dass es auch Völker und Nationen miteinander schaffen können, wenn sie denn wollen. „Das war eine hoffnungsvolle Botschaft, ein guter Start in unser Projekt,“ freut sich Kuratorin Sheleff, „und das trotz der widersprüchlichen Gefühle im Hintergrund. Das Publikum hat das alles verstanden, auch die Studenten der Akademie, die zumeist aus konfliktreichen Ländern kommen und selbst Verletzungen erlebt haben.“

Still aus Orfi Cnaani: Ground Control: When the horizon becomes a frontier, Video 2003. © Ofri Cnaani

„Eine andere Art des Hörens.“ Auch die 1964 in Nazareth geborene Manar Zuabi, die an der University of Haifa und im Beit Berl Hamidrashah lehrt, ist hier mit ihrer beeindruckenden Videoinstallation Elevator Speech vertreten. In einem durchsichtigen Lift fährt Manor mit ihrem Lehrer und Künstlerkollegen Ido Barel – mit dem Rücken zum Zuschauer – auf und ab, während sie Worte auf Arabisch wiederholt: Sie simuliert damit eine Sprachstunde in Arabisch, in der der Professor nun der Schüler ist. „Unser Schwerpunkt liegt auf einer anderen Art des Hörens, und zwar der Fähigkeit, das Hören zu verinnerlichen, es zur Empathie werden zu lassen. Auch zum Schweigen gebrachten Erzählungen Gehör zu verschaffen, um Grenzen zu durchdringen und vereinfachende Sichtweisen auf Identität infrage zu stellen“, beschreibt es Maayan Sheleff, die sowohl an der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem wie auch am Politecnico di Milano ihre ersten Abschlüsse machte.

„Wir suchen heute trotz dieser unmöglichen Situation und all der Traumata im israelisch-palästinensischen Konflikt nach gemeinsamen neuen Antworten, nach ethischem Verständnis, nach gegenseitiger Empathie und Einfühlsamkeit“, bemüht sich Sheleff, die vielschichtige Komplexität in Worte zu fassen. „Diese Empathie brauchen wir auf beiden Seiten, warum glauben wir immer, für eine Seite Partei ergreifen zu müssen?“, fragt die Kuratorin, die eine Zeitlang auch in Berlin gearbeitet hat. Eine mögliche Antwort versucht sie durch das ergreifende und innige elfminütige Farbvideo,Guave* der 1979 in Berlin geborenen Thalia Hoffman zu geben, die in Tel Aviv Jaffa lebt und arbeitet. Hoffman, die im holländischen Leiden studierte, hat ihre Arbeiten unter anderem im Tel Aviv und Haifa Museum of Art gezeigt, aber auch bei den Experiments in Cinema Festival in New Mexico sowie in Großbritannien und beim VideoArt Festival in Kairo.

Hoffmans Wiedergabe und performative Vorwegnahme eines zukünftigen politischen Zustands, der individuell entweder als utopisch oder dystopisch interpretiert werden kann und in dem Geister der Vergangenheit auftauchen, lädt dazu ein, sich eine andere politische Gegenwart vorzustellen: Auf einer Flüchtlingsstraße zwischen Jaffa, Tel Aviv und Beirut im Jahr 2048, ein Jahrhundert nach der Gründung Israels und der palästinensischen Nakba**, diskutieren eine junge Frau und ein Mann über Liebe, Erinnerung, Vertrauen und Vergessen. Die Szene spielt in einer konkreten Landschaft, nur der sich ständig erweiternde Horizont ist die imaginäre Grenze. Beide befinden sich in einem Zustand örtlicher Verschiebung, verloren in der Zeit und in der Erinnerung, und suchen gemeinsam nach einem neuen physischen und geistigen Ort – für ihre Liebe? Die Frau spricht Hebräisch, der Mann Arabisch: Eine versucht zu vergessen, der andere, sich zu erinnern.

* Die Guave, die auch Guajave oder Guayaba heißt, ist eine exotische Beerenfrucht, die sich heute in allen tropischen und subtropischen Ländern kultivieren lässt. Die apfelgroße, runde oder birnenförmige Frucht wächst an einem Myrtengewächs.

** Nakba bedeutet „Katastrophe“ und bezeichnet aus arabischer Sicht die erste Eskalation des Konflikts zwischen Juden und Palästinensern 1948.

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