Ich stelle mir vor, irgendwo im Burgenland oder in Salzburg oder in Tirol spielen an einem Samstagnachmittag Kinder und Jugendliche Fußball, nicht in einem Verein, einfach nur auf dem Fußballplatz des Dorfes, auf dem sich am Wochenende die Dorfjugend trifft. Und dann schlägt eine Rakete ein. Einige Kids sind sofort tot, andere erliegen in den darauf folgenden Tagen im Krankenhaus ihren Verletzungen.

Österreich wäre im Ausnahmezustand. Zu Recht! Abseits der politischen Entscheidungsebene, wie auf so etwas als neutraler Staat zu reagieren ist – ja, im Fall eines gezielten militärischen Angriffs würden auch hier zu Lande Truppen mobilisiert, gingen die Emotionen hoch. Ein Angriff auf Österreich! Tote Kinder! Nun weiß ich schon, dass Österreich eben ein neutrales Land ist und ein solcher Raketeneinschlag daher höchst unwahrscheinlich. Dennoch empfand ich es diesen Sommer als – es fehlt mir nahezu der richtige Begriff – frustrierend?, ernüchternd?, hartherzig? –, als in einem drusischen Dorf im Norden Israels genau das passierte, das hierzulande aber nur mehr unter „ferner liefen in diesem Krieg dort in Nahost“ abgehandelt wurde. Da erregte die nahezu zeitgleiche Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris, bei der das Motiv des Letzten Abendmahls aufgenommen und neu interpretiert wurde, wesentlich mehr die Gemüter, sowohl im Feuilleton wie auch vor allem auf Social Media.

Es sind aber auch andere Phänomene so gar nicht nachvollziehbar. Anfang August trafen einander ein paar Dutzend Menschen, das Gros von ihnen Mitglieder der Wiener jüdischen Gemeinde, um am Judenplatz in Wien einmal mehr auf das Schicksal der 115 Personen, die sich zu diesem Zeitpunkt immer noch in Geiselhaft der Hamas in Gaza befanden, hinzuweisen. Es wurden Fotos gemacht mit den Porträts der Entführten und ein Banner mit dem Hashtag #BringThemHomeNow hochgehalten. Ziel solcher Aktionen ist es, Bewusstsein dafür zu schaffen, dass da immer noch Menschen in der Hölle leben. Und dass dafür gekämpft werden muss, sie zu befreien – oder zumindest ihre Leichname zu bestatten.

Dieses Jahr hat Juden und Jüdinnen
weltweit ihren Platz in dieser Welt
eindrücklich zugewiesen.

Das Echo auf Social Media ist hier allerdings so etwas wie ein Gradmesser der Relevanz. Die Resonanz: mehr als verhalten. Anfangs, als es um entführte Kinder ging, da wurden Beiträge dieser Art – ich erinnere mich noch an einen Kinderwagen-Flashmob auf dem Stephansplatz – noch fleißig geteilt. Aber mit den Monaten hat sich einerseits die Stimmung massiv gedreht. Das Aber wurde immer übermächtiger, und Israel gilt ohnehin als Schuldiger. Weil: die Vorgeschichte! Weil: die Besatzung! Weil: Netanjahu!

Andererseits stellte ich diesen Sommer fest: Da werden Juden und Jüdinnen ja gerne als so einflussreich und als so weltumspannend vernetzt dargestellt, aber eines scheint nicht gelungen zu sein: die #BringThemHome-Botschaft sozusagen unters Volk zu bringen. Die gelbe Schleife? Den meisten Menschen kein Begriff. Die #BringThemHome- „Hundemarke“: erweckt keine Reaktionen. Aber auch die #BringThemHomeNow-Sticker im öffentlichen Raum verbleiben unversehrt. Über Wochen. Was ja positiv sein könnte.

Allerdings: Ich habe dann diesen August die Probe aufs Exempel gemacht. Ich platzierte neben einen solchen Aufkleber einen Sticker mit derselben Botschaft, aber statt mit der gelben Schleife mit einer Israel-Fahne versehen. Dieses Pickerl wurde innerhalb einer Stunde weggerissen (und nein, ich bin nicht daneben stehen geblieben, aber nach einer Stunde wieder vorbeigekommen). Der Hashtag allein ist schlicht den meisten Menschen also kein Begriff.

„Know your place“ ist eine Redewendung im Englischen. Dieses Jahr hat Juden und Jüdinnen weltweit ihren Platz in dieser Welt eindrücklich zugewiesen. Nein, besondere Sympathien schlagen uns nicht entgegen. Besonders bitter ist, dass das auch aus Richtungen kam und kommt, von denen man es nicht erwartet hätte. Aber ja: Know your place.

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