Der Graf und seine Sportwagen

Der Designer Albrecht Graf von Goertz, geboren vor 110 Jahren in Deutschland, entwarf einen der schönsten BMW-Klassiker. In die USA emigriert war er wegen seiner jüdischen Mutter.

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Albrecht Graf Goertz, Designer des BMW 503 und des BMW 507 (01/2004)

„Der 507 ist der Star der Ausstellung. Gratuliere!“ Das Telegramm aus Frankfurt nach New York schickte kein Geringerer als der BMWChef Hanns Grewenig an den aus Deutschland stammenden Designer Albrecht Graf von Goertz. Für die Internationale Automobilausstellung 1955 hatte der Außenseiter gleich zwei Modelle für die bayerischen Autobauer entwerfen dürfen, den kühnen offenen Roadster 507 und das etwas dezentere Coupé/Cabrio 503. Mit beiden exklusiven und teuren Autos sollte BMW letztlich kein Geld verdienen, aber sein Image nachhaltig aufpolieren.

Wie war es zu dem Auftrag an Goertz gekommen? Dahinter stand ein in Wien geborener Autohändler in New York, Max Hoffman (siehe unten: Zwei Förderer aus Wien). Dieser war ein äußerst erfolgreicher Importeur deutscher Luxusautos, etwa von Porsche und Mercedes. Und er hatte mitbekommen, dass sich BMW in diesem Segment schwer tat, obwohl die USA einen lukrativen Markt boten. Die Not in München, vor allem was das Design anging, war derart groß, dass sie auf seinen Vorschlag hörten und dem unbekannten Fremden eine Chance gaben. Dieser enttäuschte sie nicht.

© BMW AG

Wer war dieser deutsche Graf mit amerikanischem Pass? Albrecht Graf von Schlitz, genannt von Görtz und von Wrisberg, wurde 1914 auf dem Rittergut Brunkensen in Niedersachsen geboren. Seine Mutter Elsa, eine geborene Meyer, war Jüdin, und das sollte seinen späteren Lebensweg bestimmen. Als Schulabbrecher knapp vor dem Abitur begann Görtz in Hamburg eine Lehre bei der Deutschen Bank und wechselte dann zu einer Londoner Privatbank. 1936, als sich in Deutschlang bereits zeigte, wie das NSRegime die Diskriminierung der Juden vorantrieb, emigrierte er nach Amerika.

BMW, Rowenta & Steinway. In Kalifornien schlug er sich mit unterschiedlichen Jobs durch, wusch Autos, arbeitete in einer Fabrik für Flugzeugmotoren und begann als Autodidakt, Modelle von Ford zu tunen. Die Mode waren damals hoch-PSige Hot Rods. Auf einem Mercury-Chassis baute Goertz seinen selbst entworfenen Sportwagen auf und nannte ihn Paragon. Es gelang ihm sogar, das Fahrzeug auf der Weltausstellung 1939 in San Francisco zu präsentieren.

Doch dann kam ihm der Krieg dazwischen. Als neuer US-Bürger wurde er in die Army eingezogen und diente fünf Jahre in Asien. Nach dem Krieg lebte er kurz in Deutschland auf dem elterlichen Gut, auf dem auch die aus Ostpreußen geflohene Marion Gräfin Dönhoff, die spätere ZeitHerausgeberin, Herberge fand. Dann zog er nach New York zurück und hatte eine schicksalshafte Begegnung.

Einen 507 besaß er zwar nie, aber man sah ihn bis ins hohe Alter schnelle BMW M3-Limousinen fahren.

Vor dem Hotel Waldorf Astoria hatte er seinen Paragon geparkt, daneben stand ein weiterer individualisierter Wagen, ein aufgemotzter Lincoln. Die beiden Besitzer betrachteten die jeweils andere Maschine und beschnupperten einander. Der Mann, den Goertz dabei kennen lernte, war Raymond Loewy, einer der wichtigsten Designer der USA. Er arbeitete damals unter anderem für den Autohersteller Studebaker in Indiana und vermittelte dem jungen Kollegen dort eine Stelle.

Goertz akzeptierte, doch die bürokratische amerikanische Konzernwelt lag ihm nicht, er hatte zu viele Manager über sich, die ihm den kreativen Spielraum einengten. Also kündigte er und gründete 1953 in New York sein eigenes Studio, Goertz Industrial Design Inc. Erste Aufträge kamen vom deutschen Akkordeon-Erzeuger Hohner. Jene von BMW zwei Jahre später machten ihn schlagartig bekannt. Und zwar international. So zeichnete er dann etwa für Porsche, doch sein Entwurf sollte nie in Serie gehen. Angeblich fand Ferry Porsche, dass das zwar ein guter Goertz sei, aber zu wenig Porsche.

DER 507, der BMW-Roadster-Klassiker des
Designers Albrecht Graf von Goertz. © BMW AG

In den frühen 1960er-Jahren entwarf Goertz Automodelle für den japanischen Nissan-Konzern und legte mit seinen Designs die Grundlagen für den später erfolgreichen 240Z. Über seinen Beitrag entwickelte sich allerdings ein böser Rechtsstreit, der erst Jahre später mit einem Vergleich – und mit Zahlungen der Japaner – beendet wurde.

Goertz beschränkte sich aber nicht auf Autos. Seine Entwürfe machte er in einer ganzen Reihe anderer Industrie-Branchen. Der Stern listete in einem Porträt einmal die Vielfalt seiner Designs auf: „Unter anderem entwarf er die Form für einen Agfa-Fotoapparat, ein schwungvolles Rowenta-Bügeleisen, Toaster, Kaffeemaschinen, PolaroidKameras, Saba-Radios und zuletzt einen Flügel für die weltbekannte Musikinstrumente-Manufaktur Steinway & Sons.“

Goertz zog später wieder nach Deutschland zurück und hatte auch einen Wohnsitz in Kitzbühel. Dort starb er 2006. Einen 507 besaß er zwar nie, aber man sah ihn bis ins hohe Alter schnelle BMW-M3- Limousinen fahren.


ZWEI FÖRDERER AUS WIEN

Raymond Loewy und Max Hoffman stellten entscheidende Weichen für die Karriere von Albrecht Graf von Goertz.

Raymond Fernand Loewy wurde schon in Paris geboren, 1893. Sein Vater, der Journalist Max Löwy, war allerdings Wiener – mit ungarischen Vorfahren. Loewy studierte in Frankreich und kämpfte im Ersten Weltkrieg für die Franzosen. 1919 übersiedelte er in die USA – und folgte damit seinen beiden Brüdern. Eigentlich wollte er für General Electric arbeiten, landete aber als Modezeichner bei einem New Yorker Magazin.

Von dort wechselte er dann ins Industriedesign, war eine Zeit lang Art Director bei der Westinghouse Electric Company, und als er sich mit einem Designstudio selbstständig gemacht hatte, entwarf er Autos für Studebaker, Busse für Greyhound oder stromlinienförmige Lokomotiven. Auch jenseits von industrieller Hardware wurden seine Designs ikonisch: So zeichnet er etwa für das Logo der Zigarettenmarke Lucky Strike verantwortlich oder für jenes von Spar, die stilisierte grüne Tanne und den roten Streifen mit der weißen Schrift. Loewy starb 1986 in Monaco.

Maximilian Edwin Hoffmann wurde 1904 als Sohn eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter in Wien geboren. Sein Vater betrieb eine Werkstätte für Fahrräder und Nähmaschinen. Max Hoffmann fuhr in den 1920erJahren Rennen, sowohl auf Motorrädern wie auch mit Automobilen. In den 1930er-Jahren führte er eine Handelsfirma, importierte unter anderem Volvos aus Schweden oder Stahl aus den USA nach Österreich.

1938 floh er vor den Nazis, zunächst nach Paris, dann auf abenteuerlichem Weg via Portugal in die USA. Seine ersten Dollars verdiente er mit der Erzeugung und dem Vertrieb von Modeschmuck, nach dem Krieg begann er, europäische Autos in die USA zu importieren. Die Generalvertretung von Volkswagen an der US-Ostküste stellte sich als Misserfolg heraus, er legte sie nach wenigen Jahren wieder zurück. Dann konzentrierte er sich auf ein ganz anderes Marktsegment, die Luxusklasse. Es waren erst englische Fahrzeuge, Jaguars, Bentleys, Austins und Rovers. Seinen elegant-modernen Showroom an der New Yorker Park Avenue hatte übrigens Frank Lloyd Wright gestaltet, ebenso wie seine private Villa.

Dann kamen die Deutschen. Hoffman, wie er sich jetzt als Amerikaner schrieb, verkaufte Porsche- und MercedesSportwagen. Seine Expertise wurde in Europa geschätzt, er hatte großen Einfluss auf die Modellpolitik. So sollen die Mercedes 300 SL und 190 SL auf seine Marktbeobachtungen zurückgehen. Ähnliches galt dann auch bei BMW, wo er das biedere Design kritisierte und Goertz als kreativen Outsider ins Spiel brachte. Später arbeitete Hoffman zusätzlich für Fiat und Alfa Romeo. Bei der erfolgreichen Platzierung des Alfa Spider in den USA spielte er ebenfalls eine entscheidende Rolle. Hoffman starb 1981 in den USA.

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