Die letzten Tage

Der folgenschwere Kälteeinbruch hat es nur zu deutlich gemacht: Der Sommer neigt sich seinem Ende zu. Zeit, ihm im Herzen einen festen Platz zu schenken, um gut gegen das Wintergrau gewappnet zu sein.

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Es herbstelt. Vielleicht nicht so unbedingt wettermäßig. Aber irgendwie seelisch. Man spürt das Ende der lichten Tage kommen, es winkt einem zaghaft aus der Ferne zu, dieses Ende. Die Sonne hält nicht mehr so viel von einem überlangen Arbeitstag, sie rollt sich früher und früher hinter den Horizont, Zwerge werfen lange Schatten, und die Abende kühlen merklich ab. Das Laub zittert schon an den Bäumen. Die letzten Tomaten tanken Kraft und Saft. Und man will das Rad der Zeit irgendwie anhalten, sich dagegenstemmen, wild entschlossen dazu, es noch ein wenig luftig und leuchtend haben, bevor der Winter mit geharnischter Faust zuschlägt.

Noch ein wenig Altweibersommer, silberne Spinnfäden, die in den abendlichen Sonnenstrahlen über Hecken und Obstbäume voller Früchte fliegen, bis sie im rosa getönten Himmel verschwinden und man sie nicht mehr sieht, weit weg, auf einer Weltreise vielleicht, hin zu Meeresstränden und Olivenhainen.

Die Schanigärten sind voll, und die Heurigen locken mit frischem Genuss. Die Hunde eilen durch die Weingärten, die Schnauze geschäftig am Boden, es ist nicht mehr so heiß, dass man sie nur morgens und abends ins Freie lassen kann, das sommerlich abrasierte Fell wächst nach, damit sie es zeitgerecht kuschlig warm haben, wenn die Nässe und Kälte um die Häuser ziehen. Noch riecht das bereits fallende Laub nicht nach dieser leicht süßlichen Verwesung, dieses Herbststadium wird erst später erreicht, dann, wenn die Nebel hochsteigen. Noch gibt es Pilze! Manchmal, wenn die Sonne sich ein Herz gefasst hat und intensiv genug ist, könnte man sogar noch in Seen und Flüsschen steigen, wenn man sich wiederum selbst ein Herz fasst.

Fangt ihn ein, den Sommer! Zelebriert ihn, schließt ihn fest in eure Köpfe und Herzen ein, lasst die schönsten Erinnerungen an Wiesen, Wälder, Meereswellen, an Kerzenschein auf schicken Terrassen, an den Geruch von frisch gegrilltem Steckerlfisch und Lagerfeuerkartoffeln, an krachsüße knackige Melonen, an Äpfel, die einem wie im Märchen vom Baum in die Hand fallen, an all das Goldene dieser Monate, die sich von Juni bis September erstrecken, lasst diese Erinnerungen in euch einsinken wie steinzeitliche Mücken im Bernstein, bewahrt für immer und damit auf ewig unvergänglich. Abgesehen davon kann man nun auch die Vorteile des endenden Sommers erleichtert aufzählen: Die biblisch anmutende Mückenplage wird schon bald Geschichte sein. Und am Strand der Eitelkeiten müssen nun keine Angehörigen jedes möglichen und unmöglichen Geschlechts mehr verzweifelt die Bäuche einziehen, wenn ein passend scheinendes Objekt der Begierde vorbeistrolcht. Rien ne vas plus. Der Sommerflirt vertschüsst sich Richtung Herbstschwere.

Denkt einfach an die in den Endsommerhimmel segelnden Spinnwebfäden, denkt an ihre Luftigkeit und ihre Zartheit, denkt an ihre Widerstandskraft und lasst die Gedanken reisen, bevor das Grau in ihnen Einzug halten kann.

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