Ein Elefant im Raum

Die dieses Jahr beschlossene Novelle des Nationalfondsgsetz sieht unter anderem vor, dass der 1995 gegründete Fonds jedes Jahr eine Konferenz abhält. Bei dem ersten solchen Symposium lud der Fonds am Dienstag zum Thema „Erinnerung und Verantwortung“ ins Parlament. Über der Rückschau der Arbeit des Nationalfonds und dem Ausblick auf Erinnerungsarbeit und Kampf gegen Antisemitismus in der Zukunft hing allerdings das Ergebnis der Nationalratswahl vom September, bei der die FPÖ den ersten Platz belegte.

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Erinnerung und Verantwortung: Die Zukunft von NS-Aufarbeitung und Gedenken in Österreich Ausblick auf das Gedenkjahr 2025: 80 Jahre Kriegsende und Zweite Republik"

Es sei „ein Elefant im Raum“, formulierte es Andreas Kranebitter, geschäftsführender wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). In neun Tagen soll offensichtlich der neue Nationalratspräsident aus den Reihen der FPÖ-Abgeordneten gewählt werden. „Das ist dann auch der Vorsitzende des Nationalfonds“, so Kranebitter, bevor er nochmals aufhorchen ließ: „Ich werde dann nicht mehr hier sitzen.“

„Dafür gebe sich das DÖW nicht her“ Andreas Kranebitter, Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, wird unter einem NR-Präsidenten aus den Reihen der FPÖ bei keinem öffentlichen Auftritt teilnehmen.

Da gehe es nicht um eine Trotzreaktion auf ein Wahlergebnis, sondern so zu tun, als würde man gemeinsam mit Menschen, die von „Globalisten“ sprächen, Antisemitismus bekämpfen, „das geht sich nicht aus“. Hier Verantwortung zu übernehmen bedeute auch, „gegen manche Usancen aufzutreten“, sagte er in Richtung Politik.

Was er damit meine, nicht mehr hier sitzen zu wollen, fragte WINA Kranebitter im Anschluss an die Konferenz. Man werde sich nicht aus der Gremienarbeit zurückziehen, das wäre kontraproduktiv, betonte er. Was er aber sicher nicht tun werde: sich bei öffentlichen Auftritten wie eben der jährlichen Konferenz des Nationalfonds, oder aber auch bei der Verleihung des Simon Wiesenthal-Preises zu beteiligen. Dafür gebe sich das DÖW nicht her. Und es sei ihm wichtig, das deutlich und auch in einem Rahmen wie eben dieser Konferenz öffentlich auszusprechen.

Ein NR-Präsident aus einer rechtsradikalen Partei wäre eine Verhöhnung der Opfer, so IKG-Präsident Oskar Deutsch

Klare Worte fand hier in der Folge auch IKG-Präsident Oskar Deutsch: „Es kann nicht sein, dass der zweite Mann im Staat eine Person einer rechtsradikalen Partei ist. Das kann nicht sein. Wenn wir wissen, welche Aufgaben der Präsident des Nationalrats hat, wie eben den Vorsitz im Nationalfonds, im Friedhofsfonds, er ist aber auch verantwortlich für den Simon Wiesenthal-Preis und für vieles weitere, dann ist das eine Verhöhnung der Opfer, der, die noch leben und der, die bereits verstorben sind.“ Es gebe kein Gesetz, dem zu Folge die stimmenstärkste Partei den Nationalratsvorsitzenden stellen müsse. Es gebe also Alternativen. Und die Wahl des Nationalratspräsidiums erfolge geheim. Er appellierte daher an die Abgeordneten, kommende Woche „die richtige Entscheidung zu fällen“.

Hannah Lessing, Vorständin des Nationalfonds: Lange sei man Annahme ausgegangen, dass Menschen aus der Geschichte lernen. Doch angesichts der aktuellen Situation fragt man sich, was schiefgelaufen sei. 

Ein zweites aktuelles Thema dieses Konferenz-Nachmittags: der nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel weltweit und auch in Österreich massiv angestiegene Antisemitismus. „All die Anstrengungen der vergangenen Jahre, all die Erinnerungsarbeit schien Früchte zu tragen“, betonte Hannah Lessing, Vorständin des Nationalfonds. Lange sei man daher von der berechtigten Annahme ausgegangen, dass Menschen aus der Geschichte lernen. Und doch sei die Situation nun so, wie sie sei. Was könne und müsse man da in Zukunft tun?

Podiumsdiskussion. Von links: Vorständin des Nationalfonds Hannah Lessing, Direktorin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen Barbara Glück, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien Oskar Deutsch, Parlamentsvizedirektorin Susanne Janistyn-Novák, Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes Andreas Kranebitter, Moritz Wein Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung

„Wir müssen aus unserer Blase heraus“, meinte Barbara Glück. Direktorin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen und Mitglied des Kuratoriums des Nationalfonds. Und: „Wenn wir stehen bleiben, haben wir verloren.“ Vielleicht habe man es sich an den Gedenkorten manchmal zu einfach gemacht. „Wir sind an unseren Orten gesessen und haben auf die Menschen gewartet, die zu uns kommen.“ Es sei aber auch wichtig, hinauszugehen. Stichwort Social Media: die Gedenkstätte Mauthausen sei nun auch auf TikTok vertreten. 300.000 Menschen besuchen die Gedenkstätte im Jahr. „Mit nur einem Video erreichen wir mitunter drei Mal so viele Menschen.“

Der IKG-Präsident hob einmal mehr hervor, dass gerade die letzte Regierung „irrsinnig viel im Kampf gegen Antisemitismus gemacht hat“. „Auf der anderen Seite überholt uns der Antisemitismus nicht nur, sondern, um ein Bild aus der Leichtathletik zu nehmen, er überrundet uns.“ Er betonte, dass es Aufgabe der ganzen Zivilgesellschaft sei, dagegen aufzutreten – ob im Gasthaus, auf dem Fußballplatz oder in der Straßenbahn.

Einmal mehr betonte der scheidende Nationalratspräsidente Wolfgang Sobotka, dass der Kampf gegen Antisemitismus nicht Aufgabe einer jüdischen Gemeinde sei: „das ist unsere Aufgabe!“

Zuvor hatte der scheidende Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka betont, man könne zwar nicht so tun, als ob man Antisemitismus nachhaltig bekämpfen könnte, man müsse aber alles tun, um ihn in die Schranken zu weisen. Und der Kampf gegen Antisemitismus sei nicht Aufgabe der jüdischen Gemeinde, „das ist unsere Aufgabe“. Replik von Deutsch: Er sehe es zwar schon auch als Aufgabe einer jüdischen Gemeinde, gegen Antisemitismus anzukämpfen, „aber nicht an vorderster Front“.

Erinnerungskultur bedeute jedenfalls auch ein aktives Engagement in der Jetzt-Zeit, so Sobotka. Zu lange habe man in diesem Kampf das Augenmerk nur auf den rassistisch motivierten rechts-nationalen Antisemitismus gelegt. Dieser habe versucht dem Antisemitismus mit der Eugenik ein wissenschaftliches Fundament zu geben. Ähnliches passiere derzeit aber auch von links: hier werde ebenfalls versucht, ein solches Fundament zu kreieren, Stichwort Apartheid-Staat Israel, Stichwort Postkolonialismus. Dazu komme noch der migrantische und der Feuilleton-Antisemitismus.

Wie auch Sobotka und Deutsch unterstrich Kranebitter, dass die gesamte Gesellschaft und damit sämtliche Institutionen und Einrichtungen für den Kampf gegen Antisemitismus zuständig seien. „Die Bekämpfung von Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht nur der Erinnerungspolitik.“ Hier nun den Anstieg der Judenfeindlichkeit mit einem Versagen von Institutionen wie eben dem DÖW oder den Gedenkstätten zu erklären, „dieses Mäntelchen brauchen wir uns nicht umhängen lassen“.

Fotos: Parlamentsdirektion/Thomas Topf

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