Ein Leben mit Literatur

Der böhmisch-amerikanische Germanist Peter Demetz starb 101-jährig in New Haven. Er war oft in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur zu Gast.

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Geboren wurde Peter Demetz 1922 schon in der Tschechoslowakei. Doch von den Eltern her atmete er noch den Geist der Monarchie. Sein Vater Hans wurde als Ladiner im Südtiroler Grödnertal geboren, seine Mutter stammte als böhmische Jüdin aus Pod brady – wie die Mutter von Franz Kafka. Der Vater war in den 1880er-Jahren nach Prag übersiedelt, arbeitete erst als Dramaturg am dortigen Deutschen Theater, später als Theaterdirektor in Brünn und 1932 – kurz und wenig erfolgreich – an der Wiener Komödie in der Johannesgasse. Die Mutter starb in einem Nazi- Konzentrationslager.

Demetz überstand die NS-Zeit als Zwangsarbeiter und studierte anschließend an der Karls-Universität in Prag Germanistik. Nach seiner Promotion und der kommunistischen Machtergreifung floh er in die Bundesrepublik Deutschland und kam zunächst in einem Lager für Displaced Persons unter. Später arbeitete er in München als Redakteur beim Sender Radio Free Europe.

1953 emigrierte er in die USA, wurde USStaatsbürger, setzte seine Studien fort und promovierte ein weiteres Mal, nun in Yale. An der amerikanischen Eliteuniversität sollte er dann eine lange akademische Karriere beginnen, bis zu seiner Emeritierung 1991 hatte er dort den Germanistik- Lehrstuhl der Sterling-Professur inne.

Einer der letzten eminenten Zeugen. Demetz beschäftigte sich intensiv mit Theodor Fontane, mit deutscher Gegenwartsliteratur aber auch mit böhmischen Autoren. Er übersetzte regelmäßig aus dem Tschechischen. Ab den 1960er-Jahren besuchte er wiederholt Wien auf Einladung der Österreichischen Gesellschaft für Literatur.

„Mit Peter Demetz ist nun einer der letzten
Zeugen gestorben, die dieses Jahrhundert in seinen
schlimmsten
Ausprägungen erleben mussten.“ FAZ

 

Nach einem ersten Vortrag 1967 referierte er in den 1970er-Jahren etwa zu Rainer Maria Rilke, Adalbert Stifter oder Franz Kafka. Seine Familie hatte in Prag übrigens ganz in der Nähe der Kafkas gewohnt.

In Deutschland schrieb Demetz lange Jahre als Rezensent im Literaturteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Marcel Reich-Ranicki, neu ernannter Literaturchef, hatte Demetz 1974 zur FAZ geholt, und diese ehrte ihn dann nach seinem Tod in einem Nachruf als „Jahrhundertfigur“. Demetz war auch Mitglied des deutschen PEN-Zentrums. In Klagenfurt nahm er zehn Jahre lang an den Jury-Sitzungen des Ingeborg-Bachmann-Preises teil, leitete diese teilweise auch als Vorsitzender.

2011 sprach Demetz das letzte Mal vor Wiener Publikum in der Gesellschaft der Literatur. Dabei stellte er zwei tschechische jüdische Dichter vor, die beide die NS-Zeit nicht überlebt hatten: Ji í Orten (Ohrenstein) wurde in Prag von einem deutschen Rettungswagen angefahren und erlag den Verletzungen, Hans Werner Kolben starb in Dachau gegen Kriegsende an Flecktyphus. Demetz hatte Werke der beiden herausgegeben, etwa Das Schwere wird verschwinden von Kolben oder Elegien von Orten.

Noch einmal die FAZ zum Tod des 101-Jährigen im April in New Haven, Connecticut: „Mit Peter Demetz ist nun einer der letzten Zeugen gestorben, die dieses Jahrhundert in seinen schlimmsten Ausprägungen erleben mussten und uns trotzdem immer wieder auch seinen literarischen Glanz vermittelt haben.“

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