„Ein Lehrstück über die Brutalität der Judenverfolgung in Wien ab 1938“

nennt Direktor Bogdan Roščić das Schicksal von Alma und Arnold Rosé, zwei außergewöhnlichen Musikern, dem das Haus der Geschichte Österreich eine Wanderausstellung mit dem Titel "Nur die Geigen sind geblieben" gewidmet hat. Diese ist in der Wiener Staatsoper zu sehen, die sich erneut mit ihrer belasteten Vergangenheit auseinandersetzt.

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Zwei herausragende Musikerinnen: Alma und Arnold Rosé. Die Wiener Staatsoper widmet ihnen eine aktuelle Sonderschau. © Internationale Gustav-Mahler-Gesellschaft, Wien

„Ihr Schicksal hat mich so berührt, dass mir das Andenken an die Musikerin Alma Rosé zu einem persönlichen Anliegen wurde“, erklärt Monika Sommer, Direktorin im Haus der Geschichte Österreich (hdgö) in der Neuen Burg am Wiener Heldenplatz. Nur wenn man die Erinnerung an besondere Menschen derart verinnerlicht, sind diese nicht vergessen. So geschehen im Fall der jüdischen Geigerin Alma Rosé (1906–1944) und ihres Vaters Arnold Rosé (1863–1946): Monika Sommer und ihr KuratorinnenTeam eröffneten das Museum am 10. November 2018 mit der Ausstellung Nur die Geigen sind geblieben – Alma und Arnold Rosé. Damit wurden das Leben und Wirken dieser zwei Persönlichkeiten des österreichischen Musik- und Wiener Gesellschaftslebens wieder aus der Vergessenheit geholt, gewürdigt und dankenswerterweise als Wanderausstellung konzipiert.*

Dass die Erinnerung an den langjährigen Konzertmeister der Wiener Philharmoniker und der Wiener Staatsoper, Arnold Rosé, derzeit und bis Ende Juni 2024 an seiner ehemaligen Wirkungsstätte wieder aufleben darf, hängt vor allem auch mit Monika Sommer und zwei Männern zusammen: „Unser Kurator Stefan Benedik, der als Historiker bei uns das Team Public History (Kuratieren, Sammeln, Konservieren) leitet, lehrt auch an der KarlFranzens-Universität Graz. Er wurde von Oliver Láng, dem studierten Musik- und Theaterwissenschafter, seit 2007 Dramaturg an der Wiener Staatsoper, eingeladen, einen Textbeitrag für ein Programmheft zu schreiben“, berichtet Sommer. „Als Stefan zum Gespräch in die Oper ging, bat ich ihn nachzufragen, ob es ein Interesse gäbe, zum 80. Todestag von Alma Rosé unsere Ausstellung in der Oper zu zeigen. Er kam strahlend zurück mit einer Zusage“, freut sich die Fürsprecherin von Alma Rosé.

Auf den Tag genau 80 Jahre nach ihrer Ermordung wurde am 4. April 2024 die Ausstellung Nur die Geigen sind geblieben – Alma und Arnold Rosé mit 60 Schautafeln (Text und Fotos) im Marmorsaal sowie im Balkonumgang der Wiener Staatsoper durch Direktor Bogdan Ro eröffnet: „Die Entfernung der Familie Rosé aus dem Wiener Kulturleben ist ein Lehrstück über die Brutalität, die Geschwindigkeit und die Gründlichkeit der Judenverfolgung in dieser Stadt ab 1938 und auf das Engste verbunden mit dem schlimmsten Kapitel der Geschichte der Wiener Staatsoper. Diese Ausstellung gehört in das Haus am Ring, und ich danke dem Haus der Geschichte Österreich.“

Falls man den Namen Alma Rosé überhaupt kannte, dann zumeist in Zusammenhang mit dem Frauenorchester im Konzentrationsund Vernichtungslager AuschwitzBirkenau, das sie leitete. Ihr großes Verdienst war u. a., dass sie diesen von der SS installierten Klangkörper auf rund 50 Musikerinnen erweitern konnte: Sie nahm vor allem jüdische Mädchen und Frauen auf, die am stärksten gefährdet waren, denn die Aufnahme als „Orchestermädchen“ bedeutete für viele die Rettung in letzter Minute – manchmal auch nur einen Aufschub. Doch diese „Tätigkeit“ stand am Lebensende von Alma, und das kam mit 38 Jahren.

„Wie rasch Antisemitismus
in einer Gesellschaft mehrheitsfähig
werden kann und sich auch gegen hoch
angesehene Persönlichkeiten richtet.“
Monika Sommer

Alma Rosé wurde in eine berühmte Musikerfamilie hineingeboren: Ihre Mutter Justine (1868–1938) war eine Schwester Gustav Mahlers, ihre Taufpatin Alma Mahler-Werfel. Die Karriere ihres Vaters Arnold führte vom Geiger der Wiener Hofoper zum Ersten Konzertmeister der Wiener Philharmoniker und des weltberühmten Rosé-Quartetts. Arnold Rosé war 1891, Justine 1902 aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten. Er konvertierte zum evangelischen Glauben und änderte seinen Namen von Rosenblum in Rosé. Arnold gab mit 16 Jahren sein erfolgreiches Debüt mit dem Gewandhausorchester Leipzig. 1882 gründete er zusammen mit seinem Bruder Eduard Rosé (1859–1943) das Rosé-Quartett, das in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vor allem in der Besetzung mit Paul Fischer, Anton Ruzitska und Friedrich Buxbaum berühmt wurde. Das Wiener Quartett trat auch regelmäßig in Prag und Budapest auf und wurde neben der beispielhaften Interpretation klassischer Werke auch für den mutigen Einsatz für neue Musik bekannt, so z. B. für die Uraufführungen der ersten beiden Streichquartette sowie des Streich-sextetts Verklärte Nacht von Arnold Schönberg. Darüber hinaus gastierte Rosé auch sieben Jahre als Konzertmeister bei den Bayreuther Festspielen.

Alma erhielt ihre Violin-Ausbildung von ihrem Vater. Gemeinsam mit ihm gab sie 1926 auch ihr Wiener Debüt als Solistin im Großen Musikvereinssaal mit dem Konzert für zwei Violinen in d-Moll von Johann Sebastian Bach (BWV 1043). Die folgenden Jahre waren von Konzertreisen als Instrumentalsolistin geprägt. Durch ihren Vater lernte sie den tschechischen Star-Geiger Váša Příhoda (1900–1960) kennen und heiratete ihn 1930 in Wien: Einer der Trauzeugen war der Schriftsteller Franz Werfel.

Richard Newman, Karen Kirtley, Anita Lasker-Wallfisch: Alma Rosé. Wien 1906 /Auschwitz 1944. Eine Biographie. Weidle 2002, 480 S., € 22,52

Alma Rosé setzte ihre Konzertreisen weiter fort, aber ihre musikalische Emanzipation von Vater und Ehemann fand in Wien statt, wo sie 1932 die neun- bis fünfzehnköpfige Damenformation Wiener Walzermädeln gründete, die ein Jahr später bereits auf große Europatournee ging. Das Repertoire umfasste Walzer, Operettenund Salonmusik. 1935 ließen sich Alma Rosé und Váša Příhoda scheiden; nach dem sogenannten „Anschluss“ verschwanden auch die Wiener Walzermädeln. 1933 noch zum Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker ernannt, wurde Arnold Rosé 1939 zwangspensioniert und musste im Alter von 75 Jahren über Berlin und Amsterdam nach London flüchten. Alma war mit ihm geflohen.

In London gelang es ihnen gemeinsam, das Rosé-Quartett wieder zu beleben. Da Alma jedoch keine Arbeitserlaubnis bekam, um als Solistin aufzutreten, und ein Angebot aus Den Haag einlangte, reiste sie in die Niederlande, wo sie sich auch nach der Besetzung durch deutsche Truppen einige Zeit mit Hauskonzerten finanziell über Wasser halten konnte. Der Medizinstudent Constant August van Leeuwen Boomkamp ging mit Alma eine Scheinehe ein, um sie vor den Nazis zu retten. Trotzdem wurde sie 1942 verhaftet. Sie erlangte ihre Freiheit nur mehr kurz mithilfe ihres Mannes und ihrer Freundin, der Widerstandskämpferin Marie Anne Tellegen. Danach versuchte Alma, über Frankreich in die Schweiz zu flüchten, wurde jedoch in Dijon von der deutschen Besatzungspolizei aufgegriffen und nach Auschwitz-Birkenau deportiert.

Häftlingsnummer 50381. Alma wurde dem Transport Nr. 57 zugeteilt, der am 18. Juli 1943 um 9 Uhr den Pariser Bahnhof Bobigny mit eintausend in Güterwaggons gepferchten Personen verließ. Diese wurden unter Androhung von Schlägen mit Bussen und Lastwägen von Drancy zum Bahnhof überstellt. Aus diesem Transport von 1.000 Jüdinnen und Juden wurden 440 gleich nach der Ankunft ermordet. Alma war unter den 191 Frauen, die gemeinsam mit insgesamt 369 Männern die erste Selektion überlebten. Von diesen erlebten nur 52 Personen (30 Männer und 22 Frauen) das Kriegsende. Alma Rosé war nicht darunter.

Mit einer Gruppe von zwölf Frauen wurde Rosé in den berüchtigten Block 10 im Stammlager geschickt. Dort führte SS-Arzt Carl Clauberg an den Frauen äußerst schmerzhafte Experimente zur Massen-sterilisation durch. Zum Glück erkannte eine holländische Häftlingskrankenschwester, Ima van Esso, die berühmte Geigerin. Alma hatte im Haus ihrer musikbegeisterten Eltern oft gespielt. Die Blockälteste konnte eine Geige organisieren, Alma gab hier zuerst heimlich Konzerte für ihre Leidensgenossinnen. „Die musikalische Zwangsarbeit“ (so genannt von der Autorin Gabriele Knapp, die zwei Bücher über Ravensbrück und Auschwitz verfasste) erforderte ein breites Spektrum – von der werktäglichen Marschmusik am Lagertor bis zu den musikalischen Vorlieben und Unterhaltungsbedürfnissen der Lager-SS.**

Die Nachricht von Almas Tod bestärkte ihren Bruder Alfred (1902–1975), der als Komponist, Dirigent und Musikwissenschafter in den USA und Kanada tätig war, seinen Vater zu sich zu holen. Ein Grund war auch, dass Arnold Rosé Anfang 1946 ein Angebot der Wiener Philharmoniker erhielt, ihn wieder als Konzertmeister einzustellen. Ganz aufgeregt schrieb er Alfred: „Diese Genugtuung, diese Anerkennung, diese Ehrung!“ Aber der Sohn, der die Flucht vor den Nazis nur knapp geschafft hatte, sah das etwas anders: „Ich bin absolut dagegen, dass er nach Wien zurück geht […]. Sein Platz ist jetzt bei seinem Sohn!“ Arnold Rosé schrieb schweren Herzens nach Wien, dass er aus Krankheitsgründen absagen müsse. Wenige Wochen nach Erhalt des Visums für die USA starb Arnold Rosé am 25. August 1946 in London.

Doch die Geigen der beiden tragen die Geschichte weiter: Bis heute musizieren Violinisten und Geigerinnen auf Arnold Rosés Stradivari (die ihm die Wiener High Society zum 50. Geburtstag spendiert hatte) und Almas Guadagnini in den renommiertesten Konzerthäusern der Welt. Das ist aber eine eigene Erzählung wert: Einen kleinen Einblick zu dieser abenteuerlichen Reise der beiden Violinen gibt die derzeitige Ausstellung in 18 Tafeln am Balkon der Wiener Staatsoper. Für die der Schau zugrunde liegende Forschungsarbeit haben die Kuratorinnen Monika Sommer, Michaela Raggam-Blesch und Heidemarie Uhl versucht, die Geschichte der Geigen zu rekonstruieren. Einziger Wermutstropfen: Die gesamte Ausstellung kann nur im Rahmen eines Vorstellungsbesuches (oder einer touristischen Führung) besichtigt werden. Für das Lesen der 42 Schautafeln im geräumigen Marmorsaal reicht nicht einmal die längste Richard-WagnerOper mit drei, vier Pausen aus, daher kaufe man den großartigen Katalog im Haus der Geschichte Österreich um wohlfeile zehn Euro. Apropos: Seit der Eröffnung des Museums trägt die Ausstellungsfläche im obersten Stock der Neuen Burg den Namen Alma-Rosé-Plateau. ***

„Die Biografien von Alma und Arnold Rosé führen uns ein hochaktuelles Thema vor Augen“, so Direktorin Sommer. „Wie rasch Antisemitismus in einer Gesellschaft mehrheitsfähig werden kann und sich auch gegen hoch angesehene Persönlichkeiten richtet, die eben noch zum Ruhm Österreichs beigetragen haben.“


* Die Ausstellung war von November 2019 an in Innsbruck, Graz, Köln, Sarajevo, London und Ontario/Kanada zu sehen.

** In den Konzentrations- und Vernichtungslagern, in denen Häftlingsorchester existierten, bildeten Musik und Singen einen festen Bestandteil des Lageralltags. Für die Häftlinge war eigenbestimmte Musik eine Form der Hilfe zum Überleben, für die SS waren Musik und Singen ein Mittel der Erniedrigung: Es diente der Zerstörung des Lebenswillens und wurde zum Terror der Lagerinsassen eingesetzt. Ferner diente sie der Unterhaltung der SS-Kräfte: die Orchester mussten etwa bei Besuchen von SS-Größen aufspielen; zusätzlich dienten die „so normalen“ Aufführungen Zweiflern gegenüber auch der Verschleierung und Verharmlosung des wahren Lagerlebens.

*** Die Ausstellungsfläche ist äußerst geschichtsträchtig: Sie liegt in jener Halle, die direkt auf den Altan führt, von dem aus Adolf Hitler am 15. März 1938 die „Heimkehr“ Österreichs in das Deutsche Reich verkündete

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