Holocaust Education reicht für Antisemitismus-Prävention nicht aus

Das Parlament gab nach dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 und dem in den Monaten darauf weltweit, aber auch in Österreich erfolgten Anstieg antisemitischer Vorfälle und Übergriffe, eine Befragung zum Themenfeld Antisemitismus und Nahost-Konflikt unter jungen Menschen in Auftrag. Der Vergleich mit Daten aus 2022 zeigt besorgniserregende Entwicklungen: auffällig sei etwa die Zunahme antisemitische Äußerungen wie die Gleichsetzung israelischer Handlungen mit Verbrechen des Dritten Reiches oder die wachsende Ablehnung der moralischen Verpflichtung gegenüber Juden, heißt es in der von IFES und Braintrust durchgeführten Studie.

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Präsentation der Studie. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP)

Die Einstellungen zum Nahostkonflikt im Licht des Massakers durch die Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 und dem seitdem andauernden Krieg zwischen Israel und Gaza zeigt eine Spaltung der jungen Bevölkerung bei diesem Thema. Während sich 50 Prozent sehr große oder große Sorgen um die palästinensische Zivilbevölkerung machen, machen sich 36 Prozent wenig oder gar keine Sorgen. Wenn es um die israelische Zivilbevölkerung geht, liegen die Werte bei 41 Prozent (sehr besorgt und besorgt) und 45 Prozent (wenig bis nicht besorgt). 41 Prozent sorgen sich um die immer noch in Gaza festgehaltenen Geiseln, 34 Prozent ist deren Schicksal eher gleichgültig. Die Sicherheit von Juden weltweit ist im Vergleich für die meisten Befragten weniger Grund zu Beunruhigung: sorgenvoll äußerten sich 37 Prozent, wenig bis nicht besorgt 46 Prozent. Interessant ist hier eine Detailauswertung: Bei der Sorge um die palästinensische Zivilbevölkerung fallen junge Menschen mit oder in Hochschulausbildung mit hohen Werten (69 Prozent) an sehr großen und großen Sorgen auf. Bei der Sorge um die israelische Zivilbevölkerung gibt es dagegen keinen großen Unterschied zwischen den verschiedenen Gruppen.

Snapshot-Studie zu Antisemitismus bei Jungen

Abgefragt wurde auch die Bewertung der Anschläge der Hamas vom 7. Oktober und der darauf folgenden Reaktionen und Aktionen Israels. 33 Prozent der Befragten waren demnach voll und ganz der Ansicht, der Überfall der Hamas sei „ein verabscheuungswürdiger Terrorakt“ gewesen, 26 Prozent sahen das „eher schon“ so. 23 Prozent sehen das allerdings „eher nicht“ oder „überhaupt nicht“ so. Die militärische Reaktion Israels auf den Ansicht stuften acht Prozent als „voll und ganz gerechtfertigt“ ein, weitere 25 Prozent als „eher schon gerechtfertigt“. Für 48 Prozent ist das Vorgehen Israels eher oder überhaupt nicht gerechtfertigt, 19 Prozent machten keine Angabe. Sieht man sich die einzelnen Gruppen an, ist die Einschätzung, dass es sich bei dem Überfall der Hamas um einen „verabscheuungswürdigen Terrorakt“ handelt, bei jungen Menschen mit oder in Hochschulausbildung besonders hoch (74 Prozent Zustimmung), aber auch bei Menschen mit niedrigem Hang zu Verschwörungstheorien (77 Prozent Zustimmung).

„Wer trägt Ihrer Meinung nach mehr Schuld am Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung, die Hamas oder Israel?“ Zehn Prozent meinten hier, eindeutig die Hamas, 26 Prozent, eher die Hamas. 13 Prozent meinten dagegen, eindeutig Israel und weitere 20 Prozent eher Israel. 32 Prozent enthielten sich der Antwort. Interessant ist hier, dass hier die Werte gerade bei jenen jungen Menschen, die derzeit an einer Uni studieren oder diese schon abgeschlossen haben, etwas anderes sind. Sie sehen die Schuld zwar ebenso zu 36 Prozent eindeutig oder eher bei der Hamas, aber zu 44 Prozent eindeutig oder eher bei Israel.

Verknüpft ausgewertet haben die Studienautoren in ihrer Auswertung die Aussagen zum aktuellen Nahost-Konflikt mit Aussagen, die die verschiedenen Erscheinungsformen von Antisemitismus repräsentieren. Wer den Überfall der Hamas als verabscheuungswürdigen Terrorakt einstuft, stimmt demnach der Aussage, dass es auf Grund der Geschichte in Österreich eine moralische Verpflichtung gebe, Juden beizustehen häufiger zu (54 Prozent) als jene, die den Überfall nicht als Terrorakt einstufen (32 Prozent). Menschen, die die Vorkommnisse vom 7. Oktober als Terrorakt einstuften, sind zudem nur zu 20 Prozent der Ansicht, dass es ohne den Staat Israel Frieden im Nahen Osten gäbe – bei jenen, die hier keinen Terrorakt sahen, sind es dagegen 40 Prozent.

Wie bereits 2022 ließen sich, wenn es generell um antisemitische Aussagen geht, deutliche Muster festmachen, so IFES-Geschäftsführerin und Studienautorin Eva Zeglovits und Projektkoordinator Thomas Stern (Braintrust): Besonders viel Zustimmung zu antisemitischen Aussagen finde man demnach bei jungen Menschen mit hoher Neigung zu Verschwörungsmythen, bei jungen Männern, bei jungen Menschen mit formal niedriger Bildung und bei jungen Befragten in Wien. Was sich gegenüber 2022 nun verändert habe, sei die Zunahme Israel-bezogenen Antisemitismus. Und: besorgniserregend sei auch die weiter gestiegene Zustimmung zu Verschwörungsmythen. Was Zeglovits zudem herausstrich: obwohl Menschen mit geringerer Bildung eher anfällig für Antisemitismus seien als solche mit höherer Bildung, zeige die Auswertung der Antworten befragter Studierender, dass sich an den Unis hier derzeit „ein paar Einfallstore“ auftun.

Die Studienautoren geben nun folgende Handlungsempfehlungen mit: an den Schulen brauche es nicht nur Schoa Education, sondern eine Erweiterung um Antisemitismus Education. Hier gehöre auch das Curriculum für Lehramtsstudierende überarbeitet.

Es brauche zudem Empowerment für Lehrer und Lehrerinnen in Form von Weiterbildung. Das sei besonders im Hinblick auf Brennpunktschulen wichtig. Abseits der Schule raten die Experten, zu versuchen, in Sachen Aufklärung und Information auch bei Religionsgemeinschaften, bei Bundesheer und Zivildiensteinrichtungen sowie in Sport- und sonstigen Vereinen anzusetzen.

Der scheidende Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka betonte bei der Präsentation der Studie, man habe sich bewusst erst für eine Veröffentlichung der Ergebnisse nach der Nationalratswahl entschieden. Es sei ihm aber ein Anliegen gewesen, die Wahrnehmung, die es zu Antisemitismus gebe, auch mit Forschung zu untermauern. Wenn zudem, auch diese Frage wurde gestellt, von vielen Befragten die Aktionen Israels mit dem Agieren des Nazi-Regimes gegenüber Juden gleichgesetzt würden, zeige das diese falsche Herangehensweise, die Terrororganisation Hamas auf eine Stufe mit dem demokratischen Staat Israel zu stellen. Dieses in diesem Fall falsche Bemühen um Balance orte er teilweise auch im Journalismus. Sobotka kritisierte in diesem Kontext scharf, dass der ORF am diesjährigen 7. Oktober dem Botschafter Palästinas in Österreich Raum gab, der diesen genutzt habe, um Israel zu dämonisieren und zu delegitimieren sowie eine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben.

„Wenn wir nicht dagegen ankämpfen, werden wir auch den Kampf um die Demokratie verlieren.“

Antisemitismus sei zutiefst undemokratisch, betonte Sobotka zudem einmal mehr. „Wenn wir nicht dagegen ankämpfen, werden wir auch den Kampf um die Demokratie verlieren.“ Im digitalen Bereich – Stichwort Social Media – habe man schon die Hoheit verloren. Umso wichtiger sei es, nun gegenzusteuern. Auch der Nationalratspräsident unterstrich dabei die Notwendigkeit, an den Schulen nicht nur den Holocaust, sondern das Phänomen Antisemitismus an sich zu behandeln. Lange Zeit habe die Gleichung auch gelautet, wer Antifaschist ist, könne kein Antisemit sein. „Dass das falsch ist, zeigt die Forschung seit Jahren.“ Die Situation an den Unis sei in Österreich zwar wesentlich besser als etwa in Deutschland oder Spanien, dort sei es inzwischen an der Tagesordnung, dass jüdische Studierende attackiert und daran gehindert würden, an Vorlesungen teilzunehmen. Dennoch würden sich auch hier zu Lande eben „Einfallstore“ zeigen – da seien die Unis, aber auch die Österreichische Hochschüler:innenschaft (ÖH) gefordert.

Für die Studie befragt wurden im vergangenen Juni insgesamt 521 Personen zwischen 16 und 27 Jahren. Von ihnen waren 52 Prozent Männer, 48 Prozent Frauen, 40 Prozent waren bis 20 Jahre alt, 60 Prozent gehörten der Gruppe der 21- bis 27Jährigen an. 34 Prozent der Befragten leben in Wien, 17 Prozent in Städten ab 50.000 Einwohner, 49 Prozent in kleineren Städten oder Landgemeinden. 81 Prozent haben die österreichische Staatsbürgerschaft, 92 Prozent leben seit ihrer Geburt in Österreich. 18 Prozent haben Pflichtschulabschluss, 35 Prozent absolvierten eine Lehre oder berufsbildende mittlere Schule, 33 Prozent verfügen über eine Matura und zwölf Prozent haben bereits einen Hochschulabschluss.

Die ganze Studie kann hier heruntergeladen werden: https://www.parlament.gv.at/services/veroeffentlichungen-gemaess-b-vg/

 

 

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