Sommer am Markt

Frische Früchte, gegrillter Fisch, Falafel oder das passende Fleisch für die Grillerei am Wochenende: Die Wiener Märkte bieten alles, was die heiße Jahreszeit kulinarisch ausmacht. WINA besuchte jüdische Marktstandler und -standlerinnen auf drei Wiener Märkten. Sie erzählen auch, wie sich das Marktleben über die Jahrzehnte verändert hat.

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© Daniel Shaked

Albert Djuraev,
Karmelitermarkt

„Ich arbeite seit etwa einem Jahr am Karmelitermarkt. Wir gehören zum Restaurant Bahur tov und verkaufen hier koscheres Fleisch und Geflügel – wir bieten vor allem Huhn, Lamm- und Rindfleisch an. Das Lammfleisch wird in Österreich geschlachtet, anderes ist importiert, vor allem aus Polen und Ungarn. Unser Hechscher kommt von den Rabbinen Benjamin Aminov und Moshe Israelov. Manche Produkte haben aber sowohl eine sephardische wie auch eine aschkenasische Zertifizierung.

Albert Djuraev verkauft auf dem Karmelitermarkt mit das beste koschere Fleisch der Stadt. Und das mit Zertifikat. © Daniel Shaked

Die ganze Gemeinde kauft bei uns ein, daher ist es uns wichtig, Fleisch nicht nur zubereitet im Restaurant, sondern auch frisch am Markt anzubieten. Kostendeckend ist das für uns allerdings nicht – wir sehen das als Service für die Gemeinde. Es kommen aber auch nichtjüdische Österreicher zu uns einkaufen. Von ihnen wird immer wieder die gute Qualität des Fleisches gelobt. Sie sagen zum Beispiel, dass das Faschierte von uns viel weniger Wasser enthält. Dafür zahlen sie dann auch gerne etwas mehr, denn koscheres Fleisch ist eben in der Produktion teurer. Man braucht den Maschgiach, man braucht die ganze Aufsicht, es wird von Hand geschlachtet.
Bei uns kaufen Einzelpersonen, aber auch große Familien und koschere Restaurants ein. Geöffnet haben wir immer Montag bis Donnerstag. Ich esse selbst auch gerne Fleisch, und es gibt ja auch die religiöse Pflicht, zumindest einmal in der Woche Fleisch zu essen. Am besten schmeckt mir Lammschnitzel, das ich im Backrohr zubereite.“


 

Emanuel Yagudaev alias „Dr. Falafel“,
Naschmarkt

„Ich war schon zehn Jahre Mitarbeiter hier am Markt, bevor ich mich vor 24 Jahren selbstständig gemacht habe. Dr. Falafel ist ein europaweit geschützter Name, wir haben einen Großhandel und einen kleinen Imbiss hier am Markt. Wir haben 25 Mitarbeiter, darunter Familie, aber auch viele Angestellte, die inzwischen schon so lange hier sind, dass sie zur Familie gehören. Mein Bruder, mein Neffe, meine zwei Söhne – wir alle sind Dr. Falafel. Meine Tochter ist inzwischen übrigens eine richtige Frau Doktor, sie ist Zahnärztin.
Das Falafel-Herstellen kenne ich schon aus Israel, damals habe ich als Teenager beim FalafelStand meines Vaters mitgeholfen. Dazu gibt es natürlich Hummus, den wir inzwischen mit verschiedenen Geschmäckern und in vielen Farben anbieten: Wir haben Rote-Rüben-Hummus, Curry-Hummus, Mango-Hummus, Oliven-Hummus und sogar Trüffel-Hummus.

Emanuel Yagudaev ist „Dr. Falafel“. Er liebt die Menschen und die Stimmung auf dem Wiener Naschmarkt © Daniel Shaked

Ich selbst mag den klassischen aber am liebsten. Mehrere Tonnen Hummus verkaufen wir pro Monat in Wien, nicht nur am Markt, sondern auch im Großhandel. Viele Restaurants, aber auch Bäckereien und Hotels beziehen ihren Hummus von mir. Er wird nach unseren Rezepten, die mein Bruder Jaakov und ich über die Jahre immer weiter perfektioniert haben, für uns produziert.
Meine Söhne arbeiten gerade daran, ein Franchise-System für Dr. Falafel zu entwickeln. Das soll eine Falafel-LokalKette werden, die Veganes und Vegetarisches, aber kein Fleisch anbietet. Die ersten Standorte sollen in Wien entstehen und dann weitere in ganz Österreich und später vielleicht auch in Deutschland und der Schweiz folgen. Woran ich außerdem arbeite, ist eine fettfreie Herstellung von Falafel, indem ich Waffeleisen benutze. Daran muss ich aber noch feilen. Fettfrei, glutenfrei und vegan – das ist mein Ziel. Mit Salat dazu ist das dann auch ein sehr gesundes Essen. Ich habe aber noch einen weiteren Plan: Irgendwann möchte ich die weltweit größte Falafel-Kugel herstellen!
Ich stehe sehr gerne am Markt. Viele Kunden und Kundinnen kommen regelmäßig, wir plaudern, das Geschäft läuft. Mit anderen Marktstandlern habe ich mich über die vielen Jahre angefreundet, es ist eine gute Stimmung hier. Seit dem 7. Oktober macht uns aber leider Antisemitismus schon zu schaffen. Es ist nicht so, dass ich persönlich Drohungen bekomme, aber es gibt schon Diskussionen, am Markt arbeiten viele Muslime. Auch einige meiner Mitarbeiter sind Muslime, und sie arbeiten alle gerne hier. Wir weinen miteinander, wenn Verwandte sterben, und lachen, wenn es eine Hochzeit gibt. Wir sind wie eine große Familie.“


 

Ester Babaev,
Vorgartenmarkt

„Das Geschäft hier am Vorgartenmarkt gibt es schon seit über 50 Jahren. Vor rund 30 Jahren hat es mein Papa, Aron Chassidov, übernommen. Er ist in der Gemeinde sehr bekannt gewesen, aber leider dieses Jahr verstorben. Meine Schwägerin hat hier mitgearbeitet, meine Schwester, und vor allem meine Mutter, denn mein Vater hat dann auch das Fischgeschäft am Karmelitermarkt geführt. Das gibt es leider nicht mehr, dort ist nun eine Pizzeria, die Kunden haben meinem Papa wirklich hinterhergeweint.
Ich selbst habe viele Jahre bei der Nordsee gearbeitet und mir dort als Filialleiterin viel Knowhow erworben. Vor sechs Jahren hat mich mein Vater dann gefragt, ob ich nicht das Geschäft am Vorgartenmarkt gemeinsam mit einem meiner Söhne – Menashe – übernehmen möchte. Das haben wir dann gemacht, da war es noch ein reines Fischgeschäft. Papa hatte auch Aquarien hier mit lebenden Fischen. Die haben wir nun nicht mehr, auch weil ich nicht selbst schlachten wollte. Das Geschäft haben wir umgebaut und uns innenarchitektonisch Anleihen aus Hamburg geholt. Fisch am Markt bietet nun Fisch, aber auch Meeresfrüchte, und man kann bei uns auch essen.

Ester Babaev. Ihr Fischstand auf dem Vorgartenmarkt bietet alles, was das frische Herz begehrt. © Daniel Shaked

Neben gebackenem Fisch – dabei vor allem Scholle und Kabeljau – mit klassischem Wiener Kartoffelsalat, den wir selbst nach altem Rezept herstellen, bieten wir auch gegrillten Fisch an. Das ist dann leichtere Kost, das mögen vor allem die Jüngeren, ebenso wie die Bowls, die mein Sohn hier um die Ecke bei The Catch serviert. Mein Sohn hat zudem ein zweites Standbein, eine auf Food spezialisierte Werbeagentur. Dort holt er über Social-Media-Kanäle viele neue Zielgruppen für uns. Dabei spielt auch eine Rolle, wie wir unsere Gerichte servieren: Wir lassen in Portugal Keramikteller in Fischform fertigen, die man bei uns auch kaufen kann.
Bei der Ware achte ich auf absolute Frische und hohe Qualität. Die einheimischen Fische bekommen wir vom Gut Dornau in Niederösterreich. Für Meeresfische haben wir Lieferanten in Kroatien, in Deutschland, aber auch Frankreich. Wichtig ist hier eine gute Logistik: Da muss man sich immer rechtzeitig um die Bestellungen kümmern. Fisch wird auf Eis geliefert, Meeresfrüchte werden noch auf den Booten gefrostet und kommen tiefgekühlt.
Bei Kunden aus der Gemeinde, die koscher essen, achten wir darauf, dass sie Fisch bekommen, der nicht neben Meeresfrüchten gelagert wurde. Fisch, der bis abends nicht verkauft wurde, verarbeiten wir am nächsten Tag für das Mittagsmenü. Man könnte ihn zwar noch drei Tage verkaufen, aber ich will wirklich immer nur absolut frische Ware anbieten, und das schätzen unsere Kunden auch. Sie kommen immer wieder, und das freut mich. Sie wissen, sie bekommen hier auch Beratung, wenn sie Tipps für die Zubereitung zu Hause brauchen. Genau das macht auch das Marktgefühl aus.“

© Daniel Shaked

 

Arie und Pnina Nagaraev,
Naschmarkt

Wir sind seit 1991 – mit einer kurzen Unterbrechung – am Naschmarkt. Damals haben wir Obst und Gemüse verkauft, aber das war eine andere Zeit. Heute kommen fast keine Wiener mehr wie früher für den täglichen Einkauf. Der Naschmarkt ist nun ein Markt für Touristen. Heute verkaufen wir mehr getrocknete Früchte und Gewürze, Getreide, Linsen und Bohnen. Wir bieten aber auch frisch gepresste Säfte wie zum Beispiel Granatapfelsaft und auch Obst zum Snacken, jetzt gerade zum Beispiel Kirschen und Wassermelone, die wir schon in Scheiben schneiden, sodass man sie gleich essen kann.

Arie und Pnina Nagaraev sind seit 1991 auf dem Wiener Naschmarkt. Das Sortiment hat sich geändert, die Treue zu ihren Kunden nicht © Daniel Shaked

Es gibt auch kleine Imbisse wie Borekas, Baklava oder Falafel, leider können wir aber nur Tische für maximal acht Personen aufstellen, bei mehr Plätzen wäre das dann Gastronomie, und das erlaubt die Marktaufsicht nicht. Das ist schade. Schwierig ist auch, dass es immer mehr Vorschriften gibt. Wir sind ein Markt und kein Supermarkt – und denken Sie nur an die Märkte in Marokko oder Ägypten – dort ist alles offen. Ein Markt lebt ja auch vom Geruch und von der Atmosphäre, wenn da Gewürze in großen Säcken stehen.
Wir sind dennoch immer noch mit Freude am Markt, hier kommt man mit vielen Menschen ins Gespräch und kann Tipps geben, wenn sie fragen, was man mit diesem oder mit jenem Gewürz machen kann, wie man Linsen kocht, überhaupt nach Rezepten. Das ist ja der große Unterschied zum Supermarkt, dort bekommt man diese Beratung nicht. Und genau deshalb kommen die Menschen zu uns.
Was wir auch sehen: Menschen haben immer weniger Zeit, sie wollen die Einkäufe schnell erledigen. Und gerade zum Einkaufen wollen viele Menschen nicht mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommen. Da fehlen am Naschmarkt aber mehr Parkplätze und insgesamt mehr Service wie zum Beispiel Einkaufswagen, aber auch eine Überdachung, sodass auch mehr bei Regen oder praller Sonne eingekauft würde. In Holland haben wir einen tollen alten Markt gesehen, der wurde überdacht, auf der ersten Ebene gibt es Parkplätze und darüber Wohnungen. So etwas kann auch unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes gelingen. Das wäre mein Wunschtraum auch für den Naschmarkt, das wäre ein Weg, wie wieder mehr Wiener und Wienerinnen zu uns
kommen. Das wäre auch eine bessere Idee, als nun den Flohmarkt zu überdachen.“

© Daniel Shaked

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