Über Räuber und Beraubte  

Eine Ausstellung in zwei Museen: Das Jüdische Museum Wien und das Wien Museum erzählen in „Raub“ Geschichten aus der NS-Zeit über Enteignung und Aneignung. Als Vermittlungsform wählen sie dabei den Film. Die fehlenden Objekte stehen für die Leerstellen.  

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© Klaus Pichler

Wie erzählt man das Thema Enteignung? Oft werde gefordert, Holocaust Education neu zu denken, betonte die Direktorin des Jüdischen Museums Wien (JMW), Barbara Staudinger, am Mittwoch bei der Presseführung durch die neue Ausstellung „Raub“, die ab sofort in zwei Teilen am JMW-Standort Judenplatz und im Wien Museum am Karlsplatz zu sehen ist. Genau dieses neue Denken und damit andere Erzählen versuche man in dieser Schau.

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Dabei geht es einerseits um das Erzählte an sich: „Raub“ beleuchtet sowohl die Perspektive der Opfer, in diesem Fall der jüdischen Beraubten, als auch der Täter, hier der profitierenden Institutionen. Dabei geht es aber auch um die Art des Erzählens: Hannes Sulzenbacher vom JMW, der die Ausstellung gemeinsam mit Gerhard Milchram vom Wien Museum kuratierte, betonte, man habe bewusst auf das Ausstellen konkreter Objekte verzichtet. Schließlich gehe es darum, den Entzug zu thematisieren. Stattdessen fertigte der Wiener Filmkünstler Patrick Topitschnig zu insgesamt zwölf Objekten beziehungsweise Sammlungen kurze Filme an, die am Judenplatz – stellvertretend für die in der NS-Zeit enteigneten Juden und Jüdinnen – das Einpacken des Raubguts zeigen, und am Karlspatz das Auspacken und Einordnen in das Depot des Wien Museums.

Matti Bunzl, Leiter des Wien Museums, sprach hier bei der Zusammenschau dieser insgesamt 24 kurzen Filme von einem „temporären Mahnmal“. Damit gehe man auch museologisch neue Wege. Kurator Milchram betonte, die Wiener Sammlungen, Vorgängerinstitution des heutigen Wien Museums, hätten von dem Raubzug in der NS-Zeit profitiert – dem stelle man sich seit mittlerweile 25 Jahren mit entsprechender Restitutionsforschung (dazu ist eben auch im Czernin Verlag der Band „In gutem Glauben erworben“, herausgegeben von Christian Mertens, Gerhard Milchram und Michael Wladika erschienen).

Sowohl Bunzl als auch Milchram betonten: abgeschlossen sei diese Forschung nicht. Oft sei es schwierig, die ursprünglichen Besitzer beziehungsweise deren Nachfahren zu eruieren, oft gebe es zudem große Erbengemeinschaften, hier sei auch juristisch einiges zu beachten.

Zudem seien die einst geraubten Objekte, die sich heute in Museen befinden, ja nicht das, woran viele zuerst dächten: Gemälde von Gustav Klimt oder Egon Schiele. Geraubt wurde alles, dessen man ab der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1938 habhaft werden konnte – teils waren das auch Alltagsgegenstände, Musikinstrumente, Bücher, Dinge von geringem materiellen, aber für die früheren Besitzer von hohem ideellem Wert.

Der erste Film, dem der Besucher am Standort Judenplatz begegnet, zeigt etwa das Einpacken einer Beethoven-Büste von Wilhelm Kux. Kux war Bankier, gesinnungsmäßig der Sozialdemokratie zuzuordnen, der die Bankgeschäfte des Roten Wien verwaltete. Seine Leidenschaft galt der Musik, er war auch im Direktorium der Gesellschaft der Musikfreunde aktiv, veranstaltete in seinem Haus Konzerte und förderte junge Musiker. Er sammelte Streichinstrumente und Musikautografen – und in den 1920er Jahren erwarb er auch eine Beethoven-Büste, die von Franz Klein als einzige nach einer Lebendmaske des Komponisten gefertigt worden war. In Auftrag gegeben worden war sie 1812 vom Wiener Klavierbauer-Ehepaar Nannette und Andreas Streicher und diente in der Folge als Vorlage für viele spätere Beethoven-Darstellungen.

Kux konnte sich und auch einen Großteil seines Vermögens in die Schweiz retten, die Büste allerdings wurde von den NS-Behörden für die Ausfuhr gesperrt und von den Städtischen Sammlungen zu einem geringen Preis angekauft. Kux starb 1965 in der Schweiz. Die Restitutionskommission empfahl bereits 2008 eine Rückgabeempfehlung, doch die Erbensuche dauert bis heute an. Die Erbengemeinschaft umfasst heute an die 200 Personen, wie Sulzenbacher erläuterte. Gleichzeitig sei der Wert der Büste objektiv nicht überragend hoch – es gebe hier Schätzungen von einem vierstelligen bis zu einem sechsstelligen Betrag. Inzwischen sei das Wien Museum aber in konkreten Gesprächen mit einem der Erbberechtigten.

© Klaus Pichler

Andere Objekte beziehungsweise Sammlungen, über die der Besucher in dieser Doppel-Schau erfährt, sind die Biedermeier-Möbel von Jenny Mautner, Salonière aus der bekannten Textilproduzenten-Familie, die Nähkassette des Zuckerfabrikanten Oscar Bondy oder aber die Uhren des Uhrmachers und Sammlers Alexander Grosz. Alle ausgewählten Beispiele zeigen den Eingriff in das Private, sie porträtieren die Opfer und machen deutlich, dass die Nationalsozialisten alles, was irgendwie interessant oder verwertbar erschien, raubten.

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Der Raub trug dabei viele Masken: manches wurde direkt von Institutionen wie eben den Städtischen Sammlungen günstig erworben, anderes billig über das Dorotheum angekauft. Karl Wagner, ab 1938 Leiter der Städtischen Sammlungen, habe 1939 in einem Schreiben an den Wiener Bürgermeister festgehalten, dass durch die jüdische Abwanderung Bewegung in den Kunstmarkt gekommen sei, wie seit der Klosteraufhebung 1782 nicht mehr, erzählte Milchram. Begonnen habe dieser Raubzug übrigens damit, dass zunächst nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland Menschen die Wohnungen ihrer jüdischen Nachbarn plünderten, bevor der NS-Staat eingriff, um hier den Profit für den Staat und seine Institutionen zu sichern.

Was Topitschnig mit seinen Filminstallationen gelingt: den Raub als etwas Kaltes, Klinisches und damit Brutales darzustellen. Hier wurde alles, dessen der NS-Staat habhaft werden konnte, eingepackt und abtransportiert. Die Enteignung wurde so gründlich organisiert wie später die Deportation und Ermordung der zuvor Beraubten. In den Filmarbeiten tragen die Einpackenden die im Umgang mit musealen Objekten üblichen weißen Handschuhe. Fast könnte man sagen: die Nazis erwiesen hier den geraubten Gegenständen mehr Sorgfalt und Behutsamkeit als sie das im Umgang mit den Menschen, denen diese Objekte einst gehörten, taten. Da stand eben Enteignung, Vertreibung, Entmenschlichung, Ausbeutung von deren Arbeitskraft und schließlich Mord am Programm. Und ja, dabei machte sich der NS-Staat dann die Hände ordentlich schmutzig. Doch das ist eine andere Geschichte, die den Rahmen dieser Ausstellung sprengen würde. Hier wird das Thema Enteignung und Raub verhandelt – zu sehen bis 27. Oktober 2024.

jmw.at

wienmuseum.at

© Klaus Pichler

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