Wer war Ármin Tardos-Taussig?

Im ungarischen Szeged, wo er vor dem Krieg als Schlüsselfigur der Kunst- und Kulturszene wirkte, gibt eine kleine Schau in der prächtigen Synagoge der Stadt einen Einblick in den erstaunlichen Nachlass von Ármin Tardos-Taussig und seine bis nach Wien reichende Familiengeschichte. Eine Entdeckung.

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Ármin Tardos-Taussig war Künstler, kultureller Netzwerker und Sammler

In goldenen Lettern ist der Namenszug in weinrotes Leder eingeprägt. Tardos-Taussig A. Prall gefüllt sind diese voluminösen, mit zwei ledernen Schlaufen verschlossenen Bücher, und fast jede ihrer Seiten hält Überraschungen bereit.

INFO
Die Schau ist bis zum 15. Februar 2023 in der Neuen Synagoge in Szeged zu sehen, die schon allein eine Reise wert ist. Jósika utca 10. szzsh.hu

Sind es Tagebücher oder eigentlich Gästebücher? Ármin Tardos-Taussig hat sie jedenfalls überall hin mitgenommen, so als er zum Beispiel 1931 seine Tochter in Berlin besuchte. Da hielt gerade Albert Einstein einen Vortrag, und Tardos-Taussig zückte offenbar sein gerade aktuelles Gästebuch und ließ den prominenten Wissenschaftler unterschreiben. Und weil er als leidenschaftlicher Fotograf immer einen Fotoapparat bei sich hatte, klebte er auch seinen Schnappschuss von Einstein und das Programm des Vortrags ein.

In Vergessenheit. Einsteins Unterschrift entdeckte Kuratorin Kristina Frauhammer erst kurz vor der Eröffnung einer kleinen, sorgfältig und klug geplanten Ausstellung, die zur Zeit in einem eher kargen Raum hinter dem riesigen Hauptschiff der prachtvollen Neuen Synagoge in Szeged zu sehen ist. Ihre hebräischen Inschriften entwarf übrigens auch Tardos-Taussig, doch wer war er? Erst langsam setzt sich puzzleartig das Bild dieser offenbar so vielfältig talentierten und interessierten Künstlerpersönlichkeit zusammen, die einst ein kultureller Motor dieser ungarischen Stadt war, in der ihn heute niemand mehr kennt, wie Frauhammer feststellte. Damit ergeht es ihm wie vielen seiner vergessenen jüdischen Zeitgenossen, die einmal für das erstarkende bürgerliche Selbstbewusstsein Szegeds am Beginn des 20. Jahrhunderts so wichtig gewesen waren. Sie und ihre Familien zumindest wieder ein Stückchen ins Bewusstsein zurückzuholen, hat sich die im Archiv der Jüdischen Gemeinde Szegeds tätige Kunsthistorikerin mit ihrem Projekt Auf den Spuren verschwundener Familien zur Aufgabe gemacht. Die Ármin Tardos-Taussig und dem von ihm geförderten künstlerischen Leben von Szeged gewidmete Schau ist bereits die zweite dieser Reihe.

Sowohl in der Alten wie der Neuen Synagoge von Szeged hinterließ Tardos-Taussig künstlerische Spuren.

Ja, es geht auch um Familiengeschichten, und da führte die Spurensuche gerade nach Wien. Denn im Hietzinger Haus der Großnichte von Tardos-Taussig schlummerten über Jahrzehnte ungeöffnet diese dicken Bücher. Veronika Jurkowitsch, geborene Taussig, wie ihr Großonkel aus Temesvar stammend, hatte dessen Nachlass vor etwa 40 Jahren von seinem inzwischen verstorbenem Sohn Lajos zur Aufbewahrung erhalten.

„Ich konnte eigentlich nicht viel damit anfangen und habe die Sachen in eine Lade gesteckt und vergessen“, erklärt Veronika Jurkowitsch. Erst vor wenigen Monaten wurde sie von Kristina Frauhammer kontaktiert, die wiederum auf Umwegen auf sie gestoßen war. Als Veronika mit ihrem Mann die Materialien schließlich nach Szeged brachte, war dort die Begeisterung angesichts dieses in jeder Hinsicht sensationellen Funds kaum zu bremsen. Ein Stammbaum der Familie Taussig ist nun auch Teil der Ausstellung, und zur Eröffnung brachte Jurkowitsch, die selbst bildende Künstlerin ist, ein eigenes Werk, eine Light-Box, als Leihgabe mit.

Netzwerker und Künstler. Doch nun zurück zur Frage: Wer war Ármin Tardos-Taussig? 1874 in Temesvar als Sohn von Kaufleuten geboren, begann er nach seiner Ausbildung in Budapest seine Karriere als Eisenbahningenieur in Szeged. Bald nach der Heirat mit Lili Pollák wurde seine Wohnung zu einem Zentrum des gesellschaftlichen, intellektuellen und politischen Lebens der Stadt und aufgrund der leidenschaftlichen Sammlertätigkeit des Gastgebers auch zu einem kleinen Museum. Musiker, Journalisten und die bedeutendsten Dichter Ungarns gingen in seinem Atelier und Salon aus und ein, was die insgesamt etwa 1.700 Seiten der Gästebücher von 1918 bis 1936, dem Todesjahr Tardos-Taussigs, spiegeln. So hatte Attila Jószef, von dem bisher unbekannte Zeilen in den Büchern entdeckt wurden, mittwochs dort seinen Jour fixe zum Abendessen, Maler verewigten sich darin mit kleinen Skizzen. Der Gastgeber protokollierte Künstlergespräche, sammelte Autografen, Prospekte, Fotos, ja sogar Speisekarten und dokumentierte in separaten Alben darüber hinaus die kulturellen Ereignisse der Stadt. Sie sind heute „von unschätzbarem Wert für die Stadt, da sie historisch bedeutsames Bild- und Schriftmaterial enthalten“, so Kristina Frauhammer .

 

„Mit der Präsentation unbekannter Beispiele aus der
reichen künstlerischen Tätigkeit Tardos-Taussigs
begleicht Szeged eine große Schuld.“

Róbert Natyi

 

In drei dicken Skizzenbüchern, voll mit Fotos und Zeichnungen, lassen sich seine Recherchereisen zu jüdischen Friedhöfen in Europa nachvollziehen. Der „Grabstein-Symbolik“ war schließlich seine Publikation 1932 gewidmet, und auch er selbst entwarf Grabsteine und Denkmäler, unter anderem ein Monument für die jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs, das 2016 am Jüdischen Friedhof von Szeged restauriert wurde.

Für die Alte Synagoge, die der rasant wachsenden jüdischen Gemeinde Szegeds bald zu klein war, gestaltete er die Kanzel. 1903 entstand die mächtige, prächtige Neue Synagoge, in der Ármin Taussig die hebräischen Inschriften und architektonische Details entwarf. 1920 stellten die 7.000 jüdischen Bewohner immerhin fast sechs Prozent der Bevölkerung.

Taussig, der auf Grund seiner sozialistischen Aktivitäten 1919 vorzeitig pensioniert wurde, erreichte in der Folge als kultureller Netzwerker (ein Objekt der Ausstellung stellt dieses Netzwerk optisch nach), Mäzen und Kunstmanager seinen Zenit. So war er Mitbegründer der Künstlervereinigung des Fészek-Klubs in den 1930er-Jahren.

Als eigenständiger Künstler galt seine durchaus professionelle Liebe neben der Bildhauerei vor allem der Grafik und dem Kupferstich, den er in Wien bei Alfred Wesemann erlernte. Einige seiner Arbeiten sind im Archiv der Jüdischen Gemeinde in Budapest verwahrt.

Schuldbegleichung. „Mit der Präsentation bisher unbekannter Beispiele aus der reichen künstlerischen Tätigkeit Tardos-Taussigs, einer der Schlüssel -und Leitfiguren der Stadt, begleicht Szeged nun eine große Schuld“, meinte der Kunsthistoriker Róbert Nátyi anlässlich der Eröffnung. Noch bevor seine beiden Kinder das Haus verließen und sich die Lage für die ungarischen Juden immer mehr verschlechterte, verstarb Ármin Taussig 1936. Seine Frau, die in Szeged geblieben war, wurde 1944 nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebte und folgte nach dem Krieg ihren nach Amerika emigrierten Kindern. Lajos hatte einen Sohn, der in Hawaii seiner Leidenschaft fürs Surfen frönte und sich offenbar wenig für die Geschichte seines Großvaters interessierte. Wohl auch deshalb landete dessen reicher Nachlass letztlich bei Veronika Jurkowitsch-Taussig in Hietzing, wo er bis zur wundersamen Schatzhebung zwischen vielen anderen Kunstwerken unangetastet schlummerte. In der Szegeder Synagoge, wo sein Name immer noch auf einem Sitz zu finden ist, hat der KunstTausendsassa Ármin Tardos-Taussig nun wieder ein kurzfristiges Gastspiel.

Historische Schätze in kleinen, unscheinbaren Lederbändchen: die Skizzenbücher von Ármin Tardos-Taussig.

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