„Wichtig ist, dass Eltern nicht zu viel Druck machen.“

Tausende junge Menschen schließen in den nächsten Wochen eine höhere Schule ab. Nicht alle von ihnen wissen aber, was sie danach studieren möchten. Die frühere Journalistin Daniela Davidovits, die inzwischen als Coach tätig ist, kann hier Jugendlichen und ihren Eltern mit maßgeschneiderter Beratung zur Seite stehen. WINA bat sie zum Gespräch.

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DANIELA DAVIDOVITS-NAGY, geb. 1974 in Wien, Jusstudium an der Universität Wien, danach viele Jahre als Journalistin bei der Tageszeitung Kurier im Bereich Karriere, Aus- und Weiterbildung und danach im Themenfeld Familie und Schule tätig. 2004 brachte sie im Linde Verlag den Ratgeber „Matura. Was jetzt?“ heraus. Nach einer Ausbildung zur psychosozialen Beraterin ist Davidovits nun als Coach und Beraterin tätig. Ihre Schwerpunkte liegen dabei im Bereich Eltern- und Karriereberatung. Sie bietet auch Burnout-Prävention und Begleitung bei Scheidungen an. Davidovits ist Mutter dreier Kinder und lebt mit ihrer Familie in Wien. davidovits.at Foto: Daniel Shaked

WINA: Die schriftliche Matura ist von den Jugendlichen in den diesjährigen Abschlussklassen an höheren Schulen bereits geschrieben. Im Juni folgen noch die mündlichen Prüfungen und damit ist der Abschluss zum Greifen nah. Doch was dann? Obwohl an manchen Universitäten und Fachhochschulen die Registrierung bereits läuft, wissen manche Schüler und Schülerinnen überhaupt noch nicht, wo ihre weitere Ausbildungsreise hingehen soll. Welche Möglichkeiten gibt es denn?
Daniela Davidovits: Es hängt natürlich sehr viel davon ab, was die Erwartungen an das künftige Berufsleben sind. Neben dem klassischen Universitätsstudium gibt es die Fachhochschulen, aber auch andere Ausbildungen. Oder aber man steigt direkt ins Berufsleben ein und überlegt sich später, wie es weitergeht. Besonders schwer ist diese Entscheidung interessanterweise für Jugendliche, denen man sagt, euch steht die Welt offen. Es gibt so viele Ausbildungen und auch Berufe. Da einen Überblick zu haben, ist unmöglich. Dazu kommt in diesen Familien die Erwartung, genau das zu finden, was einen erfüllt und einem wirklich taugt. Da soll es dann auch keine pragmatischen Lösungen geben.

 

Was raten Sie dann? Ist es vielleicht besser zu sagen, stopp, ich nehme mir ein Jahr Zeit, um herauszufinden, was ich möchte?
I Ich erlebe gerade für Burschen diese Zeit, die sie mit dem Zivil- oder Präsenzdienst verbringen, als große Erleichterung. Sie haben die Schule abgeschlossen, haben die Verpflichtung, danach etwas anderes zu machen. Und vielen hilft diese Zeit, aber auch die Tätigkeit, herauszufinden, was sie beruflich interessiert und welche Ausbildung sie dazu machen wollen. Bei Mädchen gibt es so eine Verpflichtung nicht. Inzwischen entscheiden sich aber auch viele Mädchen für ein Gap-Year, ein Spezialjahr vor dem Studium. Früher haben manche ein Jahr lang als Au pair im Ausland verbracht, das scheint etwas aus der Mode gekommen zu sein. Dafür arbeiten heute manche bei einem Projekt im Ausland mit, um den eigenen Horizont zu erweitern. Es gibt viele Jugendliche, die das Gefühl haben, bis jetzt noch nichts von der Welt gesehen zu haben, und auch deswegen tun sie sich so schwer, zu entscheiden, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen.

Ich denke, ganz wichtig ist, dass den Jugendlichen klar ist, was sie mit 18 oder 19 Jahren entscheiden, muss nicht das sein, was sie dann für den Rest ihres Lebens machen werden. Das nimmt auch den Druck. Selbst wenn man sich für ein Studium entschieden hat und nach einem Semester oder auch einem Jahr feststellt, das ist nicht das Richtige, kann man seine Wahl verändern, und manchmal ist es auch möglich, Prüfungen im neuen Studium anrechnen zu lassen, sodass die Arbeit nicht vergebens war.

 

Inwiefern wird die Situation von Jugendlichen in Abschlussklassen dadurch erschwert, dass es für viele Studien Aufnahmeprüfungen gibt, für die man sich schon früh entscheiden, anmelden und dann auch vorbereiten muss?
I Es erhöht den Druck. In Wirklichkeit ist daher die vorletzte Klasse die, in der man beginnen müsste, sich ein Bild zu machen, wo es hingehen soll. Ich erlebe, dass zum Beispiel Jugendliche, die sich auf den Medizin-Aufnahmetest vorbereiten, schon während der achten Klasse AHS lernen. An den Fachhochschulen sind die Aufnahmeprüfungen meist schon vor der Matura. Sich daher erst in den letzten Wochen vor dem Schulabschluss mit der Frage zu beschäftigen, wie es weiter gehen soll, wird nicht mehr sehr effizient sein. Der Medizintest ist erst im Juli, aber man musste sich bis März anmelden.

 

Was ist hier Ihr Rat an die Eltern? Keep cool, denn es ist für heuer ohnehin schon zu spät?
I Zu spät ist es nicht. Aber wichtig ist, dass Eltern hier nicht zu viel Druck machen. Um solch eine Entscheidung zu treffen, muss man manchmal auch einen Schritt zurückgehen und ein bisschen verschnaufen nach dem Schulabschluss.

 

Was immer wieder zu hören ist: Jugendliche sind gute Schüler und Schülerinnen, aber wissen nicht wirklich, was sie interessiert. Wie kann man da dem eigenen Interessens- und Begabungsprofil auf die Spur kommen?
I Ich habe vor vielen Jahren ein Buch geschrieben, „Matura, was jetzt?“. Da sage ich zu Beginn, es gibt drei Wege, um die eigenen Interessen zu finden. Erstens: Es gibt einen Beruf, der einem gefällt, den man vielleicht bei jemandem erlebt oder auch im Kino oder Fernsehen gesehen hat. Dann geht es darum, herauszufinden, ist das wirklich etwas für mich? Wie werde ich das? Was brauche ich dafür? Zweitens gibt es die Möglichkeit, dass einen ein Fach in der Schule besonders interessiert hat. Im Rahmen der neu gestalteten Matura kann das zum Beispiel das Fach sein, in dem man seine vorwissenschaftliche Arbeit schreibt. Hier geht es darum, auszuloten, was kann ich werden, wenn ich dieses Fach studiere? Der dritte Weg wäre sich anzuschauen, ob es private Interessen, Hobbys, Leidenschaften gibt, wo man sagt, das möchte ich zu meinem Beruf machen.

 

„ In Wirklichkeit ist die
vorletzte Klasse die, in der man beginnen müsste, sich ein Bild zu
machen, wo es hingehen soll.“

 

Was wäre ein Beispiel für diesen dritten Weg?
I Jemand, der gerne zeichnet, auch wenn es nur das nebenbei Scribbeln ist und gar nicht das professionelle Hobby, geht vielleicht in die Richtung von Design oder Industrial Design oder etwas wie Marketing. Da geht man also von etwas aus, was einem gefällt, und schaut, wo kommt es vor?

 

Gibt es hier auch Testverfahren, die solche Talente und Interessen zu Tage fördern?
I Es gibt online Anbieter solcher Tests, wo man an die 50 Fragen beantwortet, und dann kommen zehn Berufsempfehlungen heraus. Ich habe da vieles ausprobiert, aber nicht das Richtige gefunden, weil es oft so ist, dass die beruflichen Ziele so gar nichts mit den empfohlenen Berufen zu tun haben. Da wird zum Beispiel einem Jugendlichen, der ein guter Schüler ist und sich auf die Uni zubewegt, ein Lehrberuf vorgeschlagen. Ich versuche daher eben im Gespräch auszuloten, herauszufinden, wo die individuellen Interessen liegen und verwende dazu den Ansatz der zuvor geschilderten drei Wege. Manchmal rate ich auch, sich anzuschauen, was für Studien es gibt und was einen dabei anspringt. Es gibt ja Fächer, wie zum Beispiel Soziologie, wo es gar keinen Anknüpfungspunkt in der Schule gibt. Vielleicht interessiert das Jugendliche, aber sie verbinden noch nichts damit.

 

Foto: Daniel Shaked

Soziologie reiht sich in jene Fächer ein, die spannend sind, wo es aber danach nicht viele Berufsmöglichkeiten gibt. Welche Rolle sollte in der richtigen Studienwahl die Möglichkeit spielen, künftig seine Existenz bestreiten zu können?
I Das habe ich kürzlich bei einem Workshop thematisiert. Man muss sich durchaus auch überlegen, was die finanziellen Ziele, aber auch die Notwendigkeiten sind. Interessanterweise denken Burschen über diesen Punkt mehr nach als junge Frauen. Da muss man aber durchaus auch pragmatisch sein. Ich bin kein Fan davon zu sagen, das sind die Cash Cow-Berufe und das mache ich, um viel Geld zu verdienen. Denn am Ende ist das kein Garant, diesen Beruf auch gut auszuüben und tatsächlich viel Geld zu verdienen. Aber bei den Überlegungen, was man später machen möchte, ist durchaus auch mitzubedenken, dass man damit sein Leben finanziell bestreitet.

 

Nicht jedes Studium führt auch zu einem Angestelltenverhältnis oder zu einer Unternehmensgründung. In manchen Berufsfeldern hantelt man sich von Projekt zu Projekt und ist Teil des akademischen Prekariats. Ist das auch Thema in Ihren Beratungen?
I Ich frage die jungen Menschen immer: Was weißt du über den Beruf? Wie läuft da ein Tag ab? Wie sieht der Alltag wirklich aus? Und ich empfehle biografische Interviews mit Leuten zu führen, die den Wunschberuf ausüben. So lernt man auch die Rahmenbedingungen kennen und man versteht besser, worauf man sich einlässt.

 

„Ich empfehle biografische
Interviews mit Leuten zu führen, die den Wunschberuf ausüben.“

 

Stichwort Cash Cow-Berufe. Hören Sie das oft? Und ist das eine erfolgreiche Motivation, sich beispielsweise für ein Studium wie Jus oder Wirtschaft zu entscheiden?
I Ich denke, da spielt auch eine Rolle, mit welchen Werten man aufgewachsen ist. Die einen wollen vor allem etwas Sinnvolles machen, sich entfalten, etwas tun, was der Persönlichkeit entspricht. Das ist zum Teil aber auch Luxus. Es gibt viele, die darauf schauen müssen, dass sie ihren Lebensunterhalt verdienen, und die sind pragmatischer in ihren Entscheidungen. Also ja, es gibt auch die, die sagen, ich möchte etwas machen, wo ich viel Geld verdiene, und die fangen dann an zu schauen, wo und wie das möglich ist. Beides macht übrigens Druck – sich zu entfalten genauso, wie viel Geld verdienen zu wollen.

 

Inwiefern macht es Druck, etwas finden zu wollen, was einen erfüllt?
I Weil da so mitschwingt, dass man etwas ganz Besonderes machen muss. Das ist auch viel verlangt von 18- oder 19-Jährigen.

 

Wie kann man hier den Druck herausnehmen?
I Das ist nicht leicht, auch weil, wie wir vorher besprochen haben, der Druck dadurch gestiegen ist, dass man sich rechtzeitig bewerben muss und es in vielen Studienrichtungen nur mehr eine begrenzte Anzahl von Plätzen gibt. Man muss also schon im Bewerbungsverfahren um den Studienplatz gut erklären können, warum man dieses oder jenes studieren möchte. Ich habe das Gefühl, es fehlt ein bisschen die Leichtigkeit, die es früher gab, wo man Verschiedenes ausprobiert hat, vielleicht zu Beginn zwei Studienrichtungen inskribierte und dann nach einiger Zeit entschied, bei welcher man blieb. Es hilft den heutigen Maturanten aber nicht, dass es früher anders war. Was man mitbedenken muss: Den Eltern kommt eine wichtige Rolle zu, weil die Jugendlichen sich überraschend stark auf sie verlassen. Wenn man junge Menschen fragt, wer sie unterstützen kann, wer sie gut kennt und sie begleiten kann, sagt fast jeder: meine Eltern. Aus der Mutterperspektive ist das eine interessante Beobachtung. Eltern wollen ja so gerne Teil vom Leben ihres Kindes sein, und ab einem gewissen Zeitpunkt ist das immer weniger der Fall. Aber wenn es dann um diese große Entscheidung geht, sind sie eben schon wichtig.

 

Wie füllen sie diese Rolle am besten aus, ohne das Kind in eine bestimmte Richtung zu lenken?
I Genau darum geht es. Sie zu begleiten – bei der Recherche, bei der Suche nach Informationen, aber keine konkreten Vorschläge zu machen. Natürlich haben Eltern oft ein Ziel für ihr Kind, gerade auch, wenn sie vielleicht selbst ein Unternehmen haben und sie sich wünschen, dass der Sohn oder die Tochter da hineinwächst. Aber hier sollen sie eben Begleiter sein. Sie können zum Beispiel mit ihrer Lebenserfahrung den Kontakt zu Personen herstellen, mit denen das Kind biografische Interviews führen kann. Sie können aber auch auf pragmatische Dinge hinweisen wie, wo kommt man leichter hinein? Oder welche Studien bieten eine Möglichkeit, mit der man dann auf das eigentliche Wunschstudium umsteigen kann? Hier empfiehlt es sich, mit jungen Menschen zu sprechen, die bereits studieren. Es gibt aber auch an Unis Tage der offenen Tür. Am Ende können Eltern das Kind dabei unterstützen, all diese Informationen zusammenzutragen, aber dann auch beim Sortieren helfen.

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